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In ganz Europa und dem Mittelmeerraum finden sich Hypogäen – geheimnisvolle unterirdische Orte, deren Zweck bis heute unbekannt ist. Das bekannteste Beispiel ist das mysteriöse, aus der Steinzeit stammende Hypogäum Ħal-Saflieni auf Malta.Der Begriff „Hypogäum“ setzt sich aus den griechischen Worten hypo und gaia zusammen und bedeutet wörtlich übersetzt „unter der Erde“. Bezeichnet werden damit unterirdische Tempel oder (heidnische) Grabkammern, manchmal auch christliche Katakomben. In Hypogäen befinden sich oft kleine Auslässe für eingeäscherte menschliche Überreste oder Loculi – viereckige Nischen – als Grabstellen. Welchen Zwecken diese unterirdischen Bauten dienten, ist bis heute unbekannt.
Unter den Straßen von Cividale del Friuli in Nordostitalien erstreckt sich ein System von unterirdischen Gängen, das in sechs Bereiche unterteilt wurde. Das Hypogäum wurde mit Äxten in den Fels gehauen, sein Alter und Zweck sind bisher unbekannt. Überall in den Hauptkammern und kleineren Räumen befinden sich Nischen und Aussparungen, in denen möglicherweise einmal menschliche Knochen aufbewahrt wurden – dann wäre das Bauwerk eine Art Friedhof gewesen. Eventuell wurde das Tunnelsystem auch für religiöse Zeremonien oder sogar als Gefängnis genutzt. In den Kammern finden sich kaum Schmuckelemente; bloß drei Masken und drei kleine Säulen. Die akustischen Eigenschaften und Resonanzphänomene sind dennoch verblüffend, Schall fließt ungehindert durch die Kammern. An einer Wand befindet sich ein kleines Gerüst, das vielleicht errichtet wurde, um die Räume akustisch auf eine singende oder betende männliche Stimme abzustimmen. Alle Kammern sind auf Schwingungen von 94 bis 102 Hertz ausgerichtet. Um die Resonanzphänomene ideal nutzen zu können, braucht es also eine männliche Stimme.
Der keltische Ursprung des Hypogäums ist reine Vermutung, ausgehend vom keltischen Aussehen der Masken. Die meisten Forscher schließen sich der Hypothese an, dieser Ort habe der Aufbewahrung von Graburnen gedient, obwohl nie welche gefunden wurden. Sein Zweck ist und bleibt daher ein Geheimnis.
Eines der weniger bekannten Untergrundbauwerke wurde 1973 in Santa Lucija auf Malta entdeckt. Die Konstruktion stammt aus der Jungsteinzeit und wurde wahrscheinlich zwischen 3500 und 3000 v. Chr., etwa zeitgleich mit Ħal-Saflieni, als frühzeitliche Begräbnisstätte erbaut. Sie besteht hauptsächlich aus einer großen, aus dem Fels gehauenen Grabkammer mit ein paar menschlichen Überresten. Bis dato wurde das Hypogäum jedoch noch nicht von Archäologen untersucht und fristet ein Schattendasein, nachdem es vor der Zerstörung durch Straßenbauarbeiten gerettet worden war.
In Italien finden sich nur in Rom mehr unterirdische Bauten als in Syrakus, das über zahlreiche Bergbaustollen verfügt. Das Hypogäum von Piazza Duomo besteht aus einem großen Tunnel mit Steinbrüchen und Zisternen. Der Eingang dazu liegt direkt unterhalb des erzbischöflichen Palasts. Das Hypogäum ist vergleichsweise klein, das weitläufige Tunnelsystem wurde aber im Zweiten Weltkrieg während der Bombenangriffe der Alliierten als Luftschutzbunker genutzt.
Die antike etruskische Stadt Orvieto stammt aus dem 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr. und wurde auf einem Kalksteinhügel errichtet. 2011 begann ein Team aus US-amerikanischen und italienischen Archäologen mit Ausgrabungsarbeiten unterhalb eines Weinkellers, nachdem dort in einer Wand Stufen aus der Zeit der Etrusker entdeckt worden waren. Die Forscher gruben sich durch mehrere Schichten aus neuzeitlichen und mittelalterlichen Böden und Wänden, bis sie schließlich auf verschiedene Tunnel, Höhlen und Kammern stießen. Bisher konnten sie fünf pyramidenförmige Hallen freilegen.