NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/nixons-krieg-gegen-die-drogen-und-seine-folgen
Im April 2016 publizierte der Journalist Dan Baum einen Artikel mit dem Titel „Legalize It All“ im Harper’s Magazine. Den Artikel eröffnen Teile eines Gesprächs, das Baum im Jahr 1994 mit John Ehrlichman geführt hat. Ehrlichman war innenpolitischer Berater Richard Nixons; zweifelhafte Bekanntheit erlangte er auch durch seine Verstrickungen in die Watergate-Affäre. Im Gespräch mit Baum offenbarte er ein gut gehütetes Geheimnisse der USA: die wahren Beweggründe hinter der Anti-Drogen-Politik der US-Regierung in der Flower-Power-Ära.
Nixon führte während seiner Amtszeit (1969–74) einen regelrechten Krieg gegen psychoaktive Substanzen, dem zwar kein großer Erfolg beschieden war, der aber viele negative Folgen hatte. Ehrlichman erklärte, dass es bei diesem Anti-Drogen-Krieg nicht in erster Linie um die Drogen selbst ging. Vielmehr sollten die innenpolitischen Feinde Nixons – Linke, Hippies, Schwarze – auf eine Art ausgeschaltet werden, die möglichst wenig Widerstand hervorrief. Dazu erzeugte man in der Öffentlichkeit die Vorstellung, alle Linken und Hippies konsumierten Marihuana und alle Schwarzen nähmen Heroin. Infolgedessen brauchte man nur die genannten Stoffe zu kriminalisieren, um ganz legal und sogar pauschal gegen die genannten Gruppen vorgehen zu können, ohne dass öffentliche Aufschreie zu befürchten waren. Man führte Razzien in ihren Wohnungen durch, verhaftete ihre führenden Köpfe und diffamierte die Gruppen allabendlich in den TV-Nachrichten. Ehrlichman gab in diesem Zusammenhang offen zu, dass damals ganz bewusst Lügen verbreitet worden seien.
Seit Nixon hat jeder US-Präsident am Anti-Drogen-Krieg festgehalten, was bis heute Steuergelder in Milliardenhöhe verschlungen hat. Zu den weiteren Folgen zählen etwa blutige Interventionen in den drogenproduzierenden Ländern Lateinamerikas und die Zerstörung von Millionen Menschenleben durch drakonische Strafen.
Bereits im Jahr 1949 diagnostizierte der US-amerikanische Schriftsteller H. L. Mencken den puritanisch geprägten Amerikanern eine quälende Angst davor, dass irgendwo irgendjemand glücklich sein könnte. Doch die tief im Menschen verwurzelte Sehnsucht nach spiritueller Selbstbestimmung, veränderten Bewusstseinszuständen und den damit einhergehenden Erfahrungen lässt sich nicht per Gesetz unterdrücken, selbst wenn Politik und Kirche systematisch versuchen, die Erfahrung von Ganzheit und Heilung zu stigmatisieren. So sind noch heute sedierende Drogen wie Alkohol – ein Nerven- und Zellgift – legal und dank massiver Werbekampagnen gerade bei Jugendlichen sehr beliebt, während bewusstseinserweiternde Stoffe wie Ayahuasca oder LSD verteufelt werden. Und ist es Zufall, dass die Produktion des körpereigenen Psychedelikums Dimethyltryptamin (DMT) in der Epiphyse durch künstliche Lichtquellen und Umweltgifte auf einem äußerst niedrigen Niveau gehalten wird?
Die Kriminalisierung sämtlicher Stoffe, die veränderte Bewusstseinszustände auslösen, generiert einen Schattenmarkt mit Drückern, Straßengangs, Schmugglern und Killern und beschwört letztlich die dunkle Seite des Drogenkonsums herauf: Überdosierungen, Gewalt in jeglicher Form und organisierte Kriminalität. Selbst die US-Drogenvollzugsbehörde DEA räumt ein, dass entgegen ihrer Bemühungen Drogen immer billiger und leichter verfügbar werden.
Seit Kurzem gibt es in vielen Ländern allerdings ein Umdenken: Die medizinische Anwendung von Cannabis wird zunehmend salonfähig, und selbst die Entkriminalisierung geringer Mengen Cannabis, Kokain, Heroin und ähnlicher Stoffe wird ernsthaft diskutiert und teilweise umgesetzt.
So weltfremd es unter diesen Umständen erscheinen mag: Vom 19. bis 21. April 2016 veranstaltete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Konferenz unter dem Motto „A Drug-Free World – We Can Do It”. Der Slogan zeigt, dass der von Nixon eingeläutete Drogenkrieg noch heute in vollem Gange ist – trotz der aktuellen liberalen Tendenzen in der Drogenpolitik einzelner Staaten.
Dass dieser Krieg ursprünglich weniger den Drogen selbst galt als vielmehr politisch unbequemen Teilen der Bevölkerung, ist nun kein Geheimnis mehr. Doch ändern wird dieser Umstand vermutlich wenig:
„Nixons Erfindung des Kriegs gegen Drogen als politisches Instrument war zynisch“,
schreibt Dan Baum,
„doch seither hat jeder Präsident – ob Demokrat oder Republikaner – ihn aus dem einen oder anderen Grund gleichermaßen nützlich gefunden.“
Dan Baums Artikel „Legalize It All – How to win the war on drugs“ vom April 2016 ist online auf Harpers.org; http://bit.ly/nex65-wod1.