NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/i-don-t-want-to-believe-teil-1-gefallene-ikonen
***Jetzt vollständig online!*** „Overpromise and underdeliver“ – so nennt der Rechercheur Steven Cambian die bei angeblichen Ufo-Insidern verbreitete Caprice, das Blaue vom Himmel zu versprechen, am Ende aber nur heiße Luft zu liefern.
Aus Steven Greer, Corey Goode und David Wilcock hatte Autor Daniel Loose diese Luft schon in Heft 73 herausgelassen – doch bei seinen Recherchen stellte er fest, dass sein damaliger Artikel eine Fortsetzung nötig hat.
Die ominöse Weltraumsaga hatte sich, als führte eine unsichtbare Hand Regie, wie von selbst weitergeschrieben. Ein paar der Helden hatten sich zwar inzwischen selbst von der Bühne manövriert – doch der Hydra wachsen bis heute Köpfe um Köpfe nach.
„Die Ufo-Mythologie entwickelt sich ohne weiteres Zutun fort. Die Mirage Men werfen lediglich ein neues Stückchen Information, eine neue Idee oder ein paar neue gefälschte Dokumente in das Durcheinander. [...] Fortwährende Ufo-Täuschungsmanöver sind gar nicht erforderlich, denn die Folklore ist problemlos in der Lage, sich selbst am Leben zu erhalten.“
Mark Pilkington, „Mirage Men“
Anmerkung des Autors: Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen, die zeitlich und inhaltlich an meinen 2017 zum selben Thema erschienenen Artikel anknüpfen, sei die vorherige Lektüre desselben empfohlen.1
„Sind Sie jemals im Weltall gewesen?“, hört man eine Stimme aus dem Off fragen. Der etwa 50-Jährige mit dem dunklen, gewellten Haar, der auf Anweisung des United States District Courts eine eidesstattliche Aussage zu tätigen hat (engl.: deposition), zögert. „Ob ich jemals im Weltall war?“ – „Ja.“ – „Mit meinem physischen Körper?“ – „Ja.“ – „Ich … glaube nicht.“
Der Name des Befragten lautet James Corey Goode, die Stimme gehört dem Rechtsanwalt Lenden Webb. Aufgenommen am 26. September vergangenen Jahres in Denver, Colorado, wirft Goode während der sechsstündigen Anhörung unzählige Male die Begriffe „trademark“ und „IP“ ein (kurz für: intellectual property, also etwa „geistiges Eigentum“).2
Doch Mr. Goode saß hier nicht als Angeklagter zu Gericht – sondern als Kläger. Der einst gefeierte „Whistleblower“, der um das Jahr 2013 auf der Bildfläche erschienen war und gemeinsam mit David Wilcock auf der Streaming-Plattform Gaia TV über hundert Folgen der Serie „Cosmic Disclosure“ bestritt, war schon fünf Jahre später wieder in der Versenkung verschwunden. Hinter den Kulissen hatte Goode sich mit so ziemlich jedem seiner früheren Mitstreiter überworfen und begann 2020 damit, ehemalige Produzenten, Geldgeber, Autoren sowie Kritiker seiner Person zu verklagen. Wir werden gleich darauf zurückkommen, doch soll uns Mr. Goodes De-facto-Selbstzerstörung nur als Sprungbrett dazu dienen, ein ungleich mächtigeres und dunkleres Dickicht zu beleuchten, das, wie ich entsetzt feststellte, im Jahre des Herrn 2023 üppiger wuchert denn je.
Sie kennen das vermutlich: Kaum hat man dem Untier einen Kopf abgeschlagen, sprießen ihm auch schon zwei neue. Oder fünf, oder acht. Diese Metapher scheint mir auf die amerikanische Ufologie-Community der letzten Dekade recht gut anwendbar zu sein. Sie hinkt lediglich insofern, als einige der nachwachsenden Drachenköpfe 2017 bereits im Hintergrund zugange waren. Damals begann eine breite Front seriöser Ufo-Forscher endlich, ihre Stimme gegen die – lassen Sie sie mich verkürzt so nennen – Märchenfraktion zu erheben. Die unüberschaubare Zahl nachwachsender Drachenköpfe ist einer der Gründe dafür, dass ein Kapitel, das ich fünf Jahre lang für abgeschlossen hielt, nun doch eine Fortsetzung erhält.
Eine Fortsetzung, die derart vollgestopft ist mit unerwarteten Wendungen, Skurrilitäten und unglaublichen Tatsachen, dass sie – ganz im Sinne heutiger Sehgewohnheiten – mehrere Teile erfordert. Wie bei jedem ordentlichen Sequel, das einige Jahre nach der ursprünglichen Handlung einsetzt, sind wir zunächst gespannt zu erfahren, was die Protagonisten von einst denn heute so treiben. Wir werden tragischen und unbelehrbaren Charakteren begegnen, aber auch unterhaltsamen und aufrechten Akteuren. Zudem wird, wie bei modernen Kinofortsetzungen üblich, die anfänglich klar strukturierte Rahmenhandlung zusehends wilder und unübersichtlicher, und die Konturen zwischen Gut und Böse beginnen zu verschwimmen. Also legen wir los!
Kulturelle bzw. subkulturelle Trends, die sich in Amerika etablieren, brauchen für gewöhnlich einige Jahre, bis sie in ähnlichem Maße in unseren Breiten Fuß fassen. Die Geschichten von Supersoldaten, geheimen Weltraumprogrammen, „20 and Back“-Programmen 3 und „Jump-Rooms“ zum Mars bildeten dabei keine Ausnahme. Auf das dramatisch-skurrile Ende des „galaktischen Botschafters“ Goode einzugehen, ist schon deshalb von Belang, als dessen „Insider-Informationen“ auch von der hiesigen alternativen Szene häufig unhinterfragt aufgegriffen und zur Untermauerung dieser oder jener These herangezogen wurden. Ein sich „Jason Mason“ nennender deutschsprachiger Autor etwa widmete Goode und seinen Erzählungen 2017 nicht weniger als 68 Seiten seines Buches. Dass dasselbe Buch mittlerweile vier Fortsetzungen erlebte – in Band 4 räumt der Verfasser Goode und Wilcock nochmals über hundert Seiten ein –, erlaubt Rückschlüsse darauf, wie die Informationen vom Publikum rezipiert wurden. Bedenklich war, dass der Name bald auch zunehmend von eigentlich um Seriosität bemühten alternativen Autoren ins Feld geführt wurde. Es wäre fatal, wenn die Kunde von Coreys längst erfolgter Selbstauflösung wiederum Jahre bräuchte, bis sie hierzulande zur Kenntnis genommen wird.
Unter Eid stellte Goode unmissverständlich klar, dass sämtliche der von ihm als wahre Erlebnisberichte verbreiteten Geschichten seiner Fantasie bzw. Träumen und meditativer Inspiration – zum Teil durch Kontakt mit Geistwesen – entsprungen waren. Warum er seine Antworten fortwährend mit den Begriffen „IP“ und „trademark“ spickte, ging mir erst auf, als ich seinen Twitter-Feed vom Dezember 2022 einsah. „Desinformationsagenten / SSP-LARPs 4 & Unternehmen haben konspiriert, um meine Lebensgeschichte / mein IP zu stehlen“, ist dort zu lesen. „Mit diesen Gerichtsverfahren habe ich mir alles als mein IP gesichert.“ 5 So wird auch verständlich, warum Goode die Anhörung mit den Worten beginnt: „Ich habe zwei Jahre lang hierauf gewartet. Ich möchte das endlich hinter mich bringen.“ In seiner verdrehten Wahrnehmung, nach der sich alle Welt an seinen – den einzig echten – Insiderinformationen über das „Secret Space Program“ bereichern und ihn persönlich „vernichten“ will, versteht er seine Klagen und die unter Eid getätigten Aussagen als ultimativen Schachzug, die Gerechtigkeit wiederherzustellen und es allen zu zeigen. „Über 300 Millionen Dollar“ hätten die „Ärsche“ rund um Gaia TV durch den Diebstahl seines geistigen Eigentums ergaunert, erläuterte Goode in einem seiner YouTube-Spaziervideos vom selben Monat.6 „Jeder, der mich und mein Narrativ nicht kontrollieren konnte, trachtete danach, mich zu zerstören.“ Bill Ryan (Project Avalon) habe „all seine Leute aufgehetzt, um mich daheim zu belästigen“, Kerry Cassidy (die Betreiberin von Project Camelot) ihn „in Verruf gebracht“ und der Dark Journalist (aka Daniel Liszt) „Cyberstalking“ gegen ihn betrieben.
Offen schrieb Goode dann auf Twitter, dass seine (eidesstattlichen) Erklärungen keinesfalls bedeuteten, er würde seine früheren fantastischen Behauptungen zurückziehen. „Das ist meine Lebensgeschichte, sie ist tatsächlich passiert, und ich widerrufe nichts davon“, untermauerte er in seinem Selfie-Video – drei Monate nach seiner Aussage vor Gericht. Dass ihn die amerikanische Justiz damit wegen Meineids belangen könnte, scheint ihn nicht zu kümmern oder ihm gar nicht ins Bewusstsein zu dringen. „Man kann nicht einfach in eine Community gehen, eine tolle Geschichte hören und sagen: Hey, ich habe hier eine super Story! – und diese dann kopieren, Geld damit scheffeln und sich einen Namen machen, ohne die eigentliche Quelle zu benennen. So funktioniert IP nicht.“ Dabei war ein ganz ähnliches Verhalten Goode selbst viele Male vorgeworfen worden. Mit zweierlei Maß zu messen scheint Programm zu sein: Seinen ehemaligen Unterstützer Leon Isaac Kennedy verklagte Goode wegen der Veruntreuung von Geldern, der jedoch die Vorwürfe – ebenfalls im Rahmen einer Aussage unter Eid – offenbar ausräumen konnte. Goodes eigenes finanzielles Gebaren bleibt hingegen fragwürdig: Wohin die Einnahmen seiner Spendenaktionen flossen, bleibt unklar, und bis heute soll er Gehälter nicht ausgezahlt haben. Mehrfach machte Goode private Adressen und Telefonnummern seiner einstigen Partner öffentlich (sogenanntes „Doxxing“), und was die Copyright-Problematik betrifft: Bis heute soll mindestens eine Dokumentation von Goode auf dem Markt sein, in der künstlerische Arbeiten Dritter ohne Erlaubnis Verwendung finden.
Allen Ernstes versuchte Goode zudem, eher generische und seit Langem im Umlauf befindliche Termini und Kürzel wie „Secret Space Program“ bzw. „SSP“, „20 and Back“ und sogar „Dark Fleet“ (eine häufig verwendete Bezeichnung für die vermeintliche Nazi-Raumschiffflotte) als eigene Marke schützen zu lassen. Veranstaltern hatte er gedroht: „Wenn ihr auf kostenpflichtigen Events Leute präsentiert, die meine Begriffe benutzen und meine Zeugenaussagen imitieren, könnt ihr euch vor Gericht wiederfinden.“ Und weiter: „Wer ein Buch über die Dark Fleet geschrieben hat, muss dieses vom Markt nehmen oder sämtliche Vorkommen meiner eingetragenen Ausdrücke […] entfernen.“ Erfolgreich registrieren konnte Goode offenbar lediglich den Terminus „Sphere Being Alliance“ und dessen Acronym SBA. Auf jeden Fall weiß der „intuitive Empath“, wie man Leute beschäftigt und ihnen das Leben schwer macht. Finanzielle oder psychische Schäden, die die Zielpersonen seiner Kampagnen und Klagen erlitten haben, kümmern Goode nicht. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Angegriffenen – darunter Gaia TV – zur Wehr setzten und Gegenklagen einreichten. Soweit ich weiß, ist das unüberschaubare Gerangel noch immer im Gange. Abgewiesen wurde jedoch Goodes Klage wegen der Veröffentlichung seiner Anhörungsvideos: Das Gericht entschied, dass dabei kein Recht gebrochen worden war.
Corey Goode war zu einer loose cannon geworden – einer aus der Verankerung gerissenen Kanone, die auf Deck alles zu zertrümmern drohte, was ihr in die Quere kam. Gaia TV sah sich veranlasst, sämtliche Folgen der „Cosmic Disclosure“-Show, in denen ihr einstiger Superstar aufgetreten war – über 100 an der Zahl, verteilt über vier Jahre –, stillschweigend vom Netz zu nehmen. Statt eines offenen Umgangs mit der Thematik entschied man sich offenbar, die so entstandenen klaffenden Lücken dadurch zu kaschieren, dass man die ursprüngliche Staffelzuordnung im orwellschen Gedächtnisloch verschwinden ließ und die Seasons komplett neu zusammenstellte. Goodes Quasi-Nachfolger Emery Smith, der uns noch beschäftigen wird, trat eigentlich erst 2017 in Erscheinung, lacht uns nun jedoch schon in Staffel 1, Folge 1 an. Bei der Filmdatenbank IMDb hatte man anscheinend die Faxen bei so viel Hin und Her bald dicke – und behielt die ursprüngliche Episodenliste bei, die im Februar 2020 abrupt endet.
Gaia TV hingegen, eine über eine halbe Million Abonnenten zählende Plattform, die 2018 mit einem Umsatzzuwachs von 28 auf 44 Millionen Dollar die Liste der weltweit am schnellsten wachsenden Einzelhändler anführte,7 denkt mitnichten ans Aufhören: Neben Smith erzählen uns dort alte und neue „Insider“ wie Randy Cramer, Tony Rodrigues, Jason Rice, David Adair und (mein heimlicher Favorit) ein Deutscher namens „Tim Tactical Advisor“ [sic] unverwandt etwas von Portalen, Temporaldynamik, Avatartechnologie und was die Herzen der meist jungen Zuschauer sonst noch höher schlagen lässt. Ach ja, und ein alter Bekannter mischt neuerdings kräftig bei der Show mit: der Desinformationsagent im Ruhestand Richard Doty, der im 2013 erschienenen Dokumentarfilm „Mirage Men“ freimütig und stolz erläuterte, wie er einst Ufo-Rechercheure wie Linda Moulton Howe und Paul Bennewitz gezielt in die Irre führte.
Auch unter den SSP-„Zeugen“ – derer gibt es nämlich, wie ich feststellen musste, eine ganze Menge – sah man sich gezwungen, sich klar vom einstigen Mitstreiter Goode zu distanzieren; in diesem Fall jedoch nicht aus finanziellen oder juristischen Gründen, sondern weil man den Prozess der „Offenlegung“ gefährdet sah. (Und mithin die erfolgreiche Aufnahme der Menschheit in die Galaktische Föderation.) Duke Brickhouse, ein enger Vertrauter von Dr. Michael Salla und Betreiber der Website ExoNews.org, beklagte in einem längeren Aufsatz, Goodes Gebaren würde neue Zeugen davon abhalten, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Außerdem würden die Leute angesichts der ständigen Zankereien innerhalb der Community auf Abstand gehen. „Ich fürchte, dass die Gelegenheit für eine echte Offenlegung nur kurze Zeit bestehen wird. Das bisher gewonnene Moment dürfen wir nicht riskieren. […] Coreys juristische und Medienkampagnen, die ihm die exklusiven Rechte über Marken und Narrative sichern sollen, sind nicht sehr hilfreich.“ 8
Doch die Situation sei weitaus komplexer. Brickhouse erläutert in dem Artikel auch die Unterschiede zwischen Goodes und dem von der übrigen Community vertretenen SSP-Narrativ. Einig sei man sich lediglich insofern, dass ein geheimes Weltraumprogramm existiere, das mit negativen Außerirdischen kooperiert – der „Orion-Gruppe“ – und Stützpunkte auf Mars und Mond betreibt. Galaktische Föderation und White Hats seien jedoch Goode zufolge lediglich Illusionen, die von der Orion-Gruppe inszeniert wurden. Zudem ist sich Goode sicher, dass die Orion-Gruppe im Hintergrund unverändert die Geschicke der Menschheit bestimmt, während die Autorin Elena Danaan und andere „Zeugen“ glauben, die Föderation habe unser Sonnensystem von den Orionern befreit. (Sie können mir folgen?) Brickhouse argumentiert, Goodes Narrativ könne nicht stimmen, da es erstens von keinem der übrigen Whistleblower bestätigt wird und zweitens nicht zur weltpolitischen Entwicklung passe. Während Goode meint, die anderen SSP-Zeugen würden ihre Erlebnisse lediglich erfinden, um die von Corey überbrachte tatsächliche Wahrheit zu unterminieren, würde gerade der Umstand, dass die von anderen Whistleblowern beigesteuerten Bruchstücke so gut zueinander passen, auf die Realität ihrer Erfahrungen hinweisen. Brickhouse verweist auf weitere logische Widersprüche in Goodes Version und kommt zu dem Schluss: „Coreys Narrativ ist nicht glaubhaft. […] Gemessen an den vorhandenen Indizien und unterstützenden Hinweisen ist das positive Elena-/Salla-Narrativ am plausibelsten.“
Die stringente Analyse des gestandenen Anwalts könnte überzeugen, gäbe es im wirklichen Kosmos tatsächlich nur die beiden von ihm in Betracht gezogenen Optionen. Unfreiwillig liefert der Verfasser ein klassisches Beispiel für eine falsche Dichotomie: Die Möglichkeit etwa, dasssämtlicheSSP-Zeugen einer Täuschung aufgesessen sein könnten, blendet Brickhouse von vornherein aus. Bedeutet die vermeintliche wechselseitige Bestätigung zahlreicher „Whistleblower“-Aussagen tatsächlich, dass ein geheimes Weltraumprogramm in der beschriebenen Weise zwingend existieren muss? Oder könnte es ganz andere Erklärungen geben? Nicht einmal die eher rationale Variante der „Disclosure“-Bewegung – verkörpert durch Proponenten wie Greer, TTSA, Elizondo und aktuell Grusch – findet bei Brickhouse Erwähnung. Ein wenig fühle ich mich an den Kampf zwischen Judäischer Volksfront und der Volksfront Judäas erinnert.
Interessanterweise verwendet Brickhouse in seinem Artikel ganze sieben Mal den Begriff „Gaslighting“. Zu Recht ist der Terminus, der die manipulative Aufweichung des eigenen Realitätsgefühls durch andere bezeichnet, derzeit allerorten im Gespräch; doch wird er häufig seinerseits leichtfertig oder gar manipulativ benutzt. „Eine der üblichen Methoden, mit deren Hilfe die [Mainstreammedien] ein offizielles Narrativ aufrechterhalten, besteht darin, andere zu ‚gaslighten‘“, schreibt Brickhouse. „Wir sollen etwas glauben, das schlicht und ergreifend nicht wahr ist. Wer dann mutig genug ist, das Narrativ zu hinterfragen, wird als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt.“ Eine super Zusammenfassung – doch scheinen es stets nur die anderen zu sein, die Gaslighting betreiben. Wer Brickhouse folgt, hält am Ende möglicherweise selbst etwas für real, das „schlicht nicht wahr ist“. Im Wikipedia-Eintrag zum Begriff Gaslighting wird darauf hingewiesen, dass sich ein (seinerseits manipulierter Mit-) Täter seiner Täterschaft gar nicht bewusst sein muss.
Lassen Sie uns hiermit Mr. Goode endgültig Lebewohl sagen und einmal schauen, wie es den übrigen Protagonisten des Jahres 2017 ergangen ist.
Da wäre zunächst Coreys einstiger Kompagnon David Wilcock, Autor und – ja, was eigentlich? Ach ja, da steht es, in seiner Selbstbeschreibung auf Twitter: „Direktor bei Advanced Technology for Stavatti Aerospace, wiederkehrender Gast und Produzent bei ‚Ancient Aliens‘, zweifacher New-York-Times-Bestsellerautor und Multiinstrumentalist.“ Wilcocks zahllose unerfüllte Prophezeiungen, fantastische Behauptungen und unfreiwillige Schenkelklopfer sind legendär, doch wollen wir uns hier auf die Kernpunkte seines jüngsten Schaffens konzentrieren.
Mit Goodes Abtritt wurde es auch um Wilcock zunächst still, nachdem er Gaia TV 2018 per E-Mail um vorzeitige Aufhebung seines Vertrages ersucht hatte. In dem sogenannten „Resignation Letter“, der nach seiner unbeabsichtigten Veröffentlichung schnell die Runde machte, beklagte Wilcock ein unzumutbar gewordenes Arbeitsklima, gebrochene monetäre Versprechen, respektlosen Umgang sowie den Versuch, ihn vor dem Publikum in die luziferische Ecke zu stellen. Er bescheinigte Gaia Inc. eine „ernste psycho-spirituelle Krise“ und schrieb: „Ich habe bewusst über eine erhebliche Zahl anstößiger, respektloser und übergriffiger Situationen hinweggesehen, um diesen Job sechs Jahre lang machen zu können – hauptsächlich aus einem Gefühl finanzieller Abhängigkeit heraus.“ Zudem habe sich seine Moderatorentätigkeit mit dem „siebenjährigen Martyrium mit meiner physisch gewalttätigen Ex“ überlappt. Als Gaia versuchte, die „aggressiv für Luziferianismus werbende“ erste Folge von „Ancient Civilizations“ auf Wilcocks YouTube-Kanal zu platzieren, sah dieser seine Felle davonschwimmen. „Mein unfreiwilliges Erscheinen in einer Sendung diesen Inhalts könnte zur Folge haben, dass mich jemand aus religiösen Gründen zu ermorden versucht.“ 9
Doch die geistige Welt hielt zu David, und 2022 warf er seinen neuesten, mehrbändigen Wälzer auf den Markt: „The Michael Prophecies“, eine Sammlung alter und neuer Durchsagen, die Wilcock vom gleichnamigen Erzengel erhalten haben will. Bescheiden nennt er diesen als Verfasser und stellt sich selbst als Co-Autor hintan. „Verankert euch in dem Wissen, dass das Licht GEWONNEN hat und empfangt die Zuversicht und Geborgenheit, dass alles okay sein wird“, lädt Wilcocks Website zum Kauf des 99-Dollar-Paketes ein.10 Mehrmals schon hatte Wilcock sich im Laufe der Jahrzehnte neu erfunden. Der unabhängige Rechercheur Steven Cambian, Betreiber des YouTube-Kanals „Truthseekers“, bezeichnete die Fähigkeit, sich nach einem öffentlichen Debakel einfach zu verdünnisieren und Jahre später – statt jemals wirklich reinen Tisch zu machen – wieder mit einer neuen Nummer auf der Bildfläche zu erscheinen, als den „Cosmic Con Shuffle“ (dt. etwa: die Masche der kosmischen Betrüger).
Die „erste Aufstiegswelle“ – ein „Wandel ohne Katastrophen, der unsere Körper und Gedanken in nahezu unbegreiflicher Weise spiritualisieren wird“ – soll Michael zufolge spätestens 2025 vonstattengehen. (Gähn.) Das „seit Jahrhunderten prophezeite Armageddon ist abgesagt worden – dank unserer guten Noten!“ Doch der „Erzengel“ vertraute Wilcock (wem sonst) weitere brisante Informationen an – wie etwa Methoden zur Erlangung telekinetischer Fähigkeiten. „Ich bekomme tatsächlich Resultate“, jubelte der Autor in einem Livestream auf YouTube. „Mindestens zwei bis drei telekinetische Ereignisse pro Tag“ habe er im April 2022 erlebt. „Seltsam und nervig“ sei zwar, dass sie „stets grenzwertig“ (d. h. uneindeutig) blieben; es sei nicht so, dass „Dinge durch die Luft schweben“, sondern halt „so kleine Sachen“. Aber immerhin. Besonders erschrocken sei er, als er einmal parallel zur Bewegung eines Gegenstandes eine Stimme in seinem Kopf hörte. „Offenbar passiert das zuerst bei mir. Später einmal wird es dann bei euch geschehen – und ich bin hier, um euch zu sagen, wie ihr euch darauf vorbereiten könnt.“
Und dann glaubte ich meinen Ohren nicht zu trauen. Der Erzengel habe Wilcock angewiesen, täglich ein Bad zu nehmen – und in das Badewasser zu urinieren. Das habe „mit der ganzen Innen-Außen-Sache [zu tun], wo man das Innere nach außen kehren und eins mit dem Universum werden muss“. Wilcock zuckt die Achseln. „In die Badewanne zu pinkeln ist anscheinend ein guter Weg, um das zu erreichen. Keine Ahnung – ich befolge einfach meine Instruktionen.“ 11
Doch was hat es mit Stavatti Aerospace auf sich, jener in Wilcocks Twitter-Profil so prominent erwähnten Firma? Um diese Verbindung zu verstehen, müssen wir ein wenig ausholen. Im Herbst 2021 bot er unter dem Titel „Die Offenlegung“ einen für 333 Dollar erhältlichen „Onlinekurs“ an, dessen Teilnehmer in „die Geheimnisse von Antigravitation, freier Energie, Portalreisen, Pyramiden, Atlantis, Ufos, ETs und vielem mehr“ eingeweiht werden sollten. Ein „mächtiger Insider“ würde darin zum ersten Mal mit „paradigmenerschütternden Informationen“ an die Öffentlichkeit treten.12
Die Identität dieses „Teslas unserer Generation“ wurde erst zu Kursbeginn enthüllt: Wie sich herausstellte, handelte es sich um Christopher Beskar, den CEO der besagten Firma. Die seltsame Zögerlichkeit bezüglich der Namensnennung dürfte sich aus den Informationen erklären, die Suchmaschinen unter diesem Namen ausgespuckt hätten – das Zeug, die Kaufentscheidung zu beeinflussen, hätten sie jedenfalls gehabt: „Gründer von Stavatti Aerospace möchte Kritiker überzeugen – trotz fehlender Erfolgsbilanz“, hatte etwa die Buffalo News im Februar desselben Jahres einen längeren Artikel überschrieben, der sich mit Beskar und seinem seit nunmehr fast drei Jahrzehnten bestehenden Unternehmen befasste.13
Dessen Aktivitäten bestanden im Wesentlichen darin, dem Militär fortwährend (aber erfolglos) seine Dienste als Vertragspartner anzubieten, futuristische Flugzeugdesigns zu entwerfen, Arbeitsplätze zu versprechen (die dann nicht geschaffen wurden), staatliche Fördergelder und Steuervergünstigungen auszuhandeln und der permanenten Kritik und Spötterei zu begegnen. Ein Flugzeug hat Stavatti bislang nicht hervorgebracht. Kritiker verhöhnen Beskars Designs als unbrauchbare Fantasien – einige meinen gar, sie seien Videospielen oder Filmen entlehnt. Solche Vorwürfe weist Beskar, der nach eigenem Bekunden einst „von Star Wars inspiriert“ worden war, weit von sich: Seine Designs seien zuerst dagewesen und von Spieleentwicklern aufgegriffen worden. Viele sehen in Beskar einen „unrealistischen Start-up-Unternehmer“ und Träumer. „Ich finde, Träumen ist etwas Gutes“, wird dieser zitiert. Cambian, der die oft mühsame journalistische Arbeit leistet, die man in der Ufo-Szene allzu häufig vermisst, konfrontierte einen echten Flugzeugentwickler mit Stavattis offiziellen, für potenzielle Investoren zusammengestellten Dokumenten. „Als er mit Lachen fertig war, rief er zurück und sagte: ‚Das ist das Dümmste, was ich je gesehen habe.‘“ 14
Der kleine Schlenker war notwendig, da Wilcock in seinem nicht mehr gelisteten Promo-Video zum Kurs 15 unter anderem ankündigte, in Zusammenarbeit mit Beskar binnen eines Jahres den Prototypen eines „Hovercars“ zu präsentieren – des sprichwörtlichen fliegenden Autos also, das „hoffentlich in vier Jahren“ in Serienproduktion gehen sollte. Zum Beweis dafür, dass dies alles kein Schwindel sei – wie er in dem Elfminüter mehrfach versichert –, zeigt er den leerstehenden Hangar, den Stavatti (tatsächlich) für gut eine Million Dollar erworben hatte. „Abertausende von Arbeitsplätzen“ würden sie schaffen. Zu erwähnen vergaß er, was Beskar einem von Cambians Zuhörern auf Anfrage freimütig erläuterte: Seit 2019 hält Wilcock Anteile an Beskars Unternehmen, in das er eine Million Dollar investiert hat. Da wird verständlich, warum Wilcock und seine damalige Gattin Elizabeth bei Kursstart „nur noch 3.000 Dollar“ besaßen und er sich zu Beginn des Videos überschwänglich für die „phänomenale“ Resonanz sowie dafür bedankte, dass sein Publikum eine „Geldbombe abgeworfen“ hatte. „Damit können wir unglaublich viel Gutes für die Menschheit tun.“ Wilcock, der „spirituelle Gelehrte“ und „Vorreiter eines neuen Narrativs der Menschheitsgeschichte“, der „ganze Zweige der Wissenschaft neu geschrieben“ hat (Kursbeschreibung), sah sich und Beskar bereits als künftige „Gebrüder Wright der Antigravitation“, während ihn der Letztgenannte als „Helden“ feierte. Na, da haben sich zwei gefunden! Übrigens hatte Corey Goode unter Eid verlautbart, Wilcock hätte einmal mit einem einzigen Kurs über vier Millionen Dollar verdient. Weitere Details zu Wilcocks fragwürdigen Spendenaktionen, Steuerproblemen und angeblichen karitativen Aktivitäten finden sich auf dem Kanal „Truthseekers“.
Wilcocks langjähriger Kronzeuge, der „Doktor“ Pete Peterson, dem Beskar „in verschiedenen geheimen [Regierungs-]Programmen begegnet“ sei, fand in meinem ersten Artikel zum Thema nur am Rande Erwähnung – zu Unrecht, wie ich lernen musste. Project Camelot würdigte den 2019 Verstorbenen als „einen seiner wichtigsten Zeugen“ und dankte ihm für seinen „brillanten Dienst an der Menschheit“. Gerade war das Genie, das in den 1970er-Jahren bahnbrechende Erfindungen in der aufkommenden Heimcomputerindustrie gemacht und eine Maschine entwickelt haben wollte, die so ziemlich jede Krankheit zu heilen imstande sei, im Begriff, über seine „60 bis 65 Aufenthalte an außerirdischen Orten“ auszupacken, da sei er in einem Seniorenheim mittels einer mysteriösen Injektion verstorben worden. Peterson hatte unter anderem angegeben, Präsident Ronald Reagan beraten und höchste Sicherheitsfreigaben besessen zu haben. Cambian ging diesen und zahllosen weiteren Behauptungen auf den Grund. Der Computerspezialist telefonierte mit Universitäten, Krankenhäusern und Polizeistationen, prüfte die Verzeichnisse russischer Ordensträger (der „Whistleblower“ soll angeblich mit dem Leninorden ausgezeichnet worden sein) und suchte nach Spuren von Petersons angeblicher Computerfirma Cyberdyne. Allen Ernstes hatte Wilcock nämlich behauptet, James Cameron habe den durch seine „Terminator“-Filme bekannt gewordenen Firmennamen von dem unbekannten Genius gestohlen. Der Unterhaltungswert von Cambians Recherchen ist enorm, das Ergebnis jedoch vorhersehbar: Von Petersons beeindruckender Biografie bleibt lediglich heiße Luft übrig.
Im Sommer 2017 schrieb Wilcock, die Regierung habe auf Betreiben der „dunklen Allianz“ Petersons Grundstück sowie die darauf befindlichen wissenschaftlichen Gerätschaften, die „Millionen“ wert seien, beschlagnahmt und entsorgt. Eine Spendenaktion folgte auf dem Fuße. Cambian fand später, wiederum durch Befragung offizieller Stellen und privater Augenzeugen, heraus, was tatsächlich geschehen war: „Petersons Haus war bereits Jahre [zuvor] zwangsversteigert worden. Die Bank gab ihm jedoch buchstäblich mehrere Jahre Zeit, es zu räumen. […] Den Leuten zufolge, die das Grundstück säuberten, war das Haus ein Alptraum von einem Messi-Rattennest. Und überall fanden sie – Achtung, jetzt kommt’s! – tote Katzen und Flaschen voll [menschlichen Urins].“ Auch Petersons Dahinscheiden war, wie der Rechercheur verifizieren konnte, auf gänzlich natürliche Weise erfolgt. Mitarbeiter des fraglichen Altenheimes sowie der örtlichen Polizei bestätigten ihm einhellig, dass sie von einem Vorfall der behaupteten Art definitiv etwas mitbekommen hätten.16
Andere Akteure der Ereignisse von 2017 machen – man mag es kaum glauben – noch immer weiter, als sei nichts geschehen. Andy Basiago etwa, der übrigens 2016 (unterstützt von Duke Brickhouse) für das amerikanische Präsidentenamt kandidiert hatte (und dabei, wenn ich mich nicht verzählt habe, 96 Stimmen auf sich vereinen konnte), unterhielt sich zuletzt 2022 mit Michael Salla auf dessen YouTube-Kanal – „Ihre Quelle für die unzensierte Wahrheit über die menschliche, außerirdische, globale und politische Agenda“ – über seine Zeitreiseabenteuer.17
Das Gespräch mit dem mittlerweile Erblindeten, dem seine Kampagnen und emsigen Enthüllungen keinerlei finanzielle Vorteile gebracht zu haben scheinen, ist nicht uninteressant. Das Unsichtbarkeitsnarrativ rund um das Philadelphia-Experiment habe nur als Deckmantel dafür gedient, die eigentliche Zielstellung zu verschleiern – nämlich, die „Tesla-Teleportation“ zu verwirklichen. Der bekannte Remote Viewer Ed Dames habe mit Basiago in jungen Jahren am Montauk-Stuhl gearbeitet, bei dem es sich um den Pilotensitz eines abgestürzten Ufos gehandelt haben soll. Auch mit dem jungen Donald Rumsfeld, den Basiago als „ziemlich anständigen Burschen“ beschreibt, habe er Kontakt gehabt. Der Rettung der Umwelt habe sich Basiago schon frühzeitig verschrieben – tatsächlich gibt Wikipedia unter dem Stichwort „Sustainable Development“ eine seiner Arbeiten als Quelle an – und meint wie Al Gore, die nachhaltige Entwicklung müsse „zum zentralen Organisationsprinzip der Zivilisation“ werden. (Wo habe ich das schon einmal gehört?) Die Hingabe an diese Thematik habe Basiago seinen ET-Kontakten zu verdanken. Ach ja, und als Zehnjährigen habe man ihn ins Jahr 2045 geschickt, um dort Informationen über künftige geschichtliche Ereignisse auf Mikrofilm zu sammeln. Diesen musste er für den Rücktransport nach 1972 (oder so), versehen mit einer Schnur, in seinem Allerwertesten verstecken. Die Rückkehr entpuppte sich als Herausforderung, sagte man ihm doch, dazu müsse er mit aller Kraft gegen eine Wand rennen – die sich dann in ein Portal verwandeln würde. Aber Mr. Basiago bewältigte das.
Eine andere Konstante im Disclosure-Zirkus ist Dr. Steven Greer, der während meiner Recherchen unter dem einfallsreichen Titel „Disclosure 2.0“ die dreistündige, „bahnbrechende“ und „Geschichte schreibende“ Neuauflage seines National Press Club Events von 2001 abhielt. In der 22. Minute fällt der unvermeidliche Satz, der Greers Sichtweise auf die kürzestmögliche Formel bringt: „Sämtliche außerirdische Zivilisationen sind freundlich gesinnt.“ Steven Cambian zählt mit: Der ehemalige Arzt verweist in seinem Vortrag auf nicht weniger als 713 Quellen, deren Namen ungenannt bleiben – interessierte Beobachter haben somit keine Chance, die Zeugen eigenmächtig zu befragen oder zu verifizieren. Greer sei laut Cambian zudem ein typisches Beispiel für ein in der Ufo-Szene häufig anzutreffendes Schema: „Overpromise and Underdeliver“ – immer wieder bekommt man das Blaue vom Himmel versprochen, doch werden die Zusagen niemals erfüllt.18
Unter all jenen, die 2017 an der massiven Desinformationskampagne an vorderster Front beteiligt waren, ist Jay Weidner – damals (technischer) Produzent der „Cosmic Disclosure“-Show – meines Wissens der Einzige, der reinen Tisch gemacht hat. Im gemeinsamen Versuch, zur Heilung der zerrütteten Ufo-Szene beizutragen, stand er 2019 der Goode-Kritikerin Groovie Bean aka Yvonne Palermo in mehreren Gesprächen Rede und Antwort. Wir erfahren, dass „Cosmic Disclosure“ 2015 ins Leben gerufen wurde, nachdem Wilcock neben seiner Show „Wisdom Teachings“ offen nach einer zweiten Show verlangte, um mehr verdienen zu können. Goode, dem Weidner zunächst auf den Leim ging, da er sich in dessen Spezialthemen bestens auszukennen schien, sei hinsichtlich seiner medialen Wirkung eine Katastrophe gewesen – ohne jedes Charisma, übernervös und eine permanente Herausforderung für den Schnitt. Als erfahrener Filmemacher und Drehbuchautor sei es Weidner gewesen, der Goode empfahl, den Bescheidenen zu spielen. Weidner, der Jahre später von Goode gedoxxt und verklagt wurde (Streitwert: fünf Millionen Dollar), bereut heute, quasi die Persona erschaffen zu haben, mit der jener kurze Zeit später berühmt wurde. Ein Vorgang übrigens, der Weidner bis heute vor ein Rätsel stellt: „Plötzlich entschied Gaias Marketing-Abteilung […], Corey groß rauszubringen. Ich habe keine Ahnung warum, ob das von ganz oben kam oder was da los war. Jedenfalls begannen sie auf einmal, überall Werbung für Corey zu machen.“ 19 2021 informierte Weidner auf Facebook die Öffentlichkeit darüber, dass sich Goode inzwischen mindestens sieben Gegenklagen gegenüber sieht.
Schließlich sei noch Jan Harzan erwähnt, der als Executive Director von MUFON den Einzug der Märchenonkel in die altehrwürdige Organisation erst ermöglicht hatte. Im Juli 2020 gab MUFON bekannt, dass man sich dauerhaft von Harzan getrennt habe, nachdem dieser wegen der Verführung Minderjähriger verhaftet worden war. Zu den Zeugen zählte eine Undercover-Ermittlerin, die Harzan für eine 13-Jährige gehalten hatte.20
Emery Smith, ursprünglich ebenfalls von Wilcock „entdeckt“, plaudert auf Gaia TV – wie vor ihm Corey Goode – nun schon seit Jahren unbehelligt vermeintlich hochgeheime Regierungsgeheimnisse aus. Doch im Unterschied zu seinem Vorgänger gibt er sich charmant, freundlich und humorvoll. „Tausende“ Alien-Autopsien will der Biologe vollzogen haben, mehrere Erfindungen würden auf sein Konto gehen. Der Ufo-Historiker Richard Dolan bezog 2018, nach vielfachen Anfragen und sichtlich genervt, knapp Stellung zu Smiths Behauptungen: „Du bist kein Whistleblower, wenn ich nicht wirklich weiß – und nicht herausfinden kann –, wer du bist“, sagte er und schlug Smith vor, beispielsweise einmal seine angeblichen Dissertationen vorzulegen. Eine offene Diskussion würde Dolan nicht aus Höflichkeit ablehnen, sondern: „Ich versuche, mit meiner Energie zu haushalten und meine Zeit nicht zu vergeuden.“ 21
Aus demselben Grund hatte auch ich es lange Zeit vermieden, mir Smiths Hintergrund näher anzusehen. Als ich schließlich doch etwa eine Stunde dafür opferte, stolperte ich über die Videos von Hofit Kim Cohen, einer spirituell interessierten, aber nicht mit der Ufo-Szene verbandelten YouTuberin, die angab, Smiths Verlobte gewesen zu sein. Ich war skeptisch, doch sind die Videos, in denen Kim von den Seltsamkeiten und Warnsignalen während ihrer Partnerschaft berichtet, mit zahlreichen gemeinsamen Fotos und Videoclips gespickt. Oft habe sich Emery ihr gegenüber geheimnisvoll gegeben, und vielfach habe sie nicht gewusst, wo er wirklich steckte. Und dann erfahren wir – zum Teil mit kurzen Filmschnipseln belegt – von Emerys eigenartigen Verhaltensweisen und den verschiedenen „Versionen“ (Kims Formulierung) seiner Persönlichkeit. Eine sei grundsätzlich nur nachts erschienen, eine andere habe sich unbekümmert wie ein Kind benommen. „Ich verstand nicht, wodurch diese Charakterwechsel verursacht wurden. Er war dann [jedes Mal] wie ausgetauscht.“ Auch von Alkoholmissbrauch ist die Rede; das Wasserglas, das während mancher Interviews auf Emerys Tisch zu sehen ist, enthalte kein Wasser, sondern Wodka. Anfänglich habe sie mit Verständnis reagiert, doch schließlich hätten die Lügen, Eskapaden und Widersprüche überhandgenommen. Ob Smiths SSP-Geschichten wahr seien, könne Kim nicht sagen – sie wolle es glauben, habe aber erhebliche Zweifel. Sie habe sich zudem mit Smiths früherer Freundin ausgetauscht, die ebenfalls vier verschiedene Emery-Persönlichkeiten identifizierte.22
Zum Jahresende 2017 informierte Wilcock seine Anhänger darüber, dass Smith nach einem Anschlag in die Notaufnahme eingewiesen worden war. Sein Körper sei kollabiert, nachdem ihn drei schwarze SUVs verfolgt hätten. „Warum sollten sie versuchen, sein komplettes Leben zu zerstören, wenn er sich doch alles nur ausdenkt?“, sinnierte der Autor. Am nächsten Tag berichtete er von Smiths „wundersamer Besserung, nachdem wir zu Massenmeditationen und -gebeten aufgerufen haben“. Im Avalon-Forum stieß ich auf den Hinweis, dass Smith einem Augenzeugen zufolge in Wahrheit nach einer fünftägigen Sauftour im Krankenhaus gelandet war. Wie sich herausstellte, war dieser Zeuge niemand anders als der Vater der gerade erwähnten früheren Freundin von Smith, der in einem längeren Video ausgepackt hatte.23 Demnach schlug Smith seine Freundin und verursachte volltrunken mehrere Autounfälle; mindestens einer davon war von Wilcock, der auch einen Spendenbutton für seinen Schützling einrichtete, als Anschlag hingestellt worden. „Dieser Mensch hat auf so schändliche Weise Menschen bedrängt, dass er eine Gefahr nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere darstellt“, schließt der ehemalige Quasi-Schwiegervater von Smith, dessen Identität ebenfalls durch gemeinsame, private Videosequenzen mit dem „Whistleblower“ belegt ist. Dieser sei „sehr toxisch – jemand, den man meiden und dessen Toxizität bloßgestellt werden sollte“.
Indes interviewt Emery, bei Gaia mittlerweile zum Moderator aufgestiegen, seinerseits alte und neue Geschichtenerzähler – darunter den angeblichen Supersoldaten und Marine Randy Cramer, den Dr. Salla bereits 2013 ins Rampenlicht gehievt hatte. Vertrauten Narrativversatzstücken wie „20 and Back“, Alienkriegen auf dem Mars, Neuschwabenland-Nazis usw. fügte Cramer neue Elemente hinzu: Er sei kein Whistleblower, sondern seitens des ihm vorgesetzten Brigadegenerals ausdrücklich dazu ermächtigt worden, sein gesamtes Wissen öffentlich zu machen. Schon vor seiner Geburt sei er zur Erfüllung seiner späteren Mission genetisch manipuliert worden (trotz eines „völlig gewöhnlichen, zivilen“ elterlichen Umfeldes), und er besäße eine ganze Reihe von Superkräften. Seine während des 17-jährigen Einsatzes auf dem Mars mehrfach abgetrennten Gliedmaßen seien ihm – geheimer ET-Technologie sei Dank – jedes Mal nachgewachsen.
Merkwürdig vertraut wiederum mutet seine Ankündigung aus dem Jahr 2017 an, holografische Medbetten entwickeln zu wollen, die unter anderem Krebs heilen, Organe und Körperteile regenerieren, den Alterungsprozess umkehren und sogar Gehirnschäden würden reparieren können. Nur bräuchte er dafür ein Anschubkapital von 70.000 Dollar. Knapp zehn Riesen kamen nachweislich zusammen, bevor GoFundMe die Kampagne nach Meldung und interner Überprüfung löschte. Eine private Investorin gab an, 50.000 Dollar gespendet und weder einen Cent davon je wiedergesehen, noch überhaupt von Cramer Rückmeldung erhalten zu haben. Unterstützen können Sie Cramer, indem Sie sich von ihm spirituell beraten oder in „Psionik“ unterrichten lassen. Erlernen Sie an seiner digitalen „University of Conscious Evolution“ für nur 888 Dollar „Präkognition, Remote Viewing, psionische Selbstheilung und genetische Reprogrammierung“.24 (Fragen Sie mich nicht, was Psionik ist – dass ich dazu ausschließlich Referenzen aus der Science-Fiction- und Fantasy-Welt finden konnte, liegt vermutlich an meiner Beschränktheit.)
Relevant ist, dass sich weder Dr. Salla – der „quasi jedem glaubt und nie irgendeinen Beleg einfordert“ (Cambian) – noch Gaia TV von der spätestens seit 2019 vorliegenden Bloßstellung Cramers,25 der niemals bei den Marines war, beirren ließen. Selbst Urgestein Alfred Webre, einst neben Salla Initiator der amerikanischen Exopolitik-Bewegung und noch immer Unterstützer des „Chrononauten“ Basiago, zitierte damals Cramers Ex-Frau mit den Worten:
„Er ist ein ehemaliger Barkeeper, der diese Fantasien für Profit und Aufmerksamkeit ersonnen hat, und weil er ein pathologischer Lügner ist – was auch der Grund für unsere Scheidung war.“
Dabei galt ursprünglich gerade Basiagos Urteil als Bestätigung für Cramers Echtheit. Für diesen in der SSP-Märchenwelt häufig zu beobachtenden Schachzug hat Steven Cambian nur Spott übrig: Er spricht vom „Super Duper Prover Manoeuvre“ (dt. etwa: fabulöses Beweismanöver), wenn einer der Fantasten die Echtheit seiner Geschichten „belegt“, indem er auf einen anderen Fantasten verweist, der dasselbe erzählt. Auf Cambians Aufforderung, Cramer solle seine Mitgliedschaft bei den Marines durch Dokumente nachweisen, reagierte dieser mit wilden Beschimpfungen und der Androhung von Gewalt.26 Cambian bot dem Supersoldaten daraufhin einen öffentlich ausgetragenen Boxkampf an, dessen Erlös wohltätigen Zwecken zugutekommen sollte. Doch der Herausgeforderte lehnte ab – trotz seiner vermeintlichen physischen Überlegenheit.27
Auf die erstaunlich große Zahl angeblicher Supersoldaten und SSP-Insider, die sich auf Gaia TV, Dr. Sallas YouTube-Kanal und zahlreichen kleineren Plattformen tummeln, weiter einzugehen, wäre ermüdend – hat man doch bald das Gefühl, dieselben Märchen in immer neuen Variationen aufgetischt zu bekommen. Einer von ihnen soll jedoch abschließend Erwähnung finden, da in seinen Aussagen möglicherweise wichtige Hinweise zum Verständnis der seltsamen Vorgänge versteckt sind: Tony Rodrigues.
Bereits 2017 wies ich bezüglich der SSP-Welt auf das eigentliche Mysterium hin, das interessanterweise kaum Beachtung findet: Wie kann es sein, dass etliche der „Whistleblower“ ihre abstrusen, oft elementarer Logik und einfacher Überprüfung Hohn sprechenden Geschichten ganz offensichtlich selbst glauben? Wer sich mit der grausamen Realität von Gedankenkontrolle und Persönlichkeitsspaltung durch Methoden wie MKULTRA oder satanisch-rituellen Missbrauch auseinandergesetzt hat, dürfte eine Lösung erahnen, die im Gegensatz zu den Weltraumnarrativen plausibel wäre. Sie könnte zudem erklären, warum die von verschiedenen Akteuren geschilderten Erlebnisse oft in zahlreichen Details übereinstimmen – selbst wenn sie niemals stattgefunden haben. So staunte ich nicht schlecht, als ich Rodrigues, der unter anderem sieben Jahre an Bord des Nazi-Raumschiffs „Blitzbus“ als Arbeitssklave gedient haben will, unverblümt über seine MKULTRA-Programmierung reden hörte. Auch andere SSP-Zeugen erwähnen fast beiläufig, dass sie einer Gedankenkontrolle unterzogen wurden.
Nehmen wir einmal für einen Augenblick an, all ihre Geschichten entsprächen der Realität: Wie viel Sinn würde es dann für die Betreiber eines „Weltraumprogramms“ ergeben, die äußerst schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben Menschen zu übertragen, deren Psyche sie zuvor traumatisiert und zerrüttet haben? Und diese schon im Kindesalter zu „rekrutieren“ – für Jahrzehnte und gegen ihren Willen? Solches hat nicht nur der sympathische, sichtlich leidende Mr. Rodrigues berichtet. In seinem Buch 28 beschreibt er darüber hinaus satanische Rituale (seine Worte), denen er als Junge beiwohnen musste – Masken, Dämonen und Menschenopfer inklusive. Als Jugendlicher sei er drei Jahre lang „als Sexsklave für private Partys mit Gästen aus der Politik“ missbraucht worden. Bitte, was? Solche Aussagen kennen wir von Überlebenden ritueller Gewalt, wie sie etwa seit Kurzem beim Projekt „50 Voices“ zu Wort kommen 29 – doch was haben sie im SSP-Kontext zu suchen? Schon ein erstaunlicher Zufall, finde ich, wenn man dort plötzlich über Satanisten stolpert. Zumindest ist es eine legitime Frage, ob Rodrigues mit den letztgenannten Aussagen vielleicht etwas Reales bezeugt hat.
„Ich möchte gern glauben, dass ich inaktiv bin“, entgegnete Rodrigues dem YouTuber Ryder Lee auf die Frage, ob er denn inzwischen komplett raus sei aus der Sache. „Aber ehrlich gesagt kann ich mir dessen nie ganz sicher sein. Es könnte sein, dass ich benutzt werde – ohne dass ich davon weiß.“ 30 Lee, den ebenfalls die Frage umtreibt, womit wir es in der SSP-Szene wirklich zu tun haben, werden wir im nächsten Teil des Artikels wiederbegegnen. Neben der Frage, ob sich weitere Hinweise auf Gedankenkontrolle finden lassen, werden wir prüfen, inwiefern wir der (vermeintlich?) rationalen Fraktion innerhalb der Disclosure-Szene trauen können: Wer bringt sie uns denn nun, die Wahrheit über die Ufos? David Grusch vielleicht, der (echte) ehemalige Geheimdienstoffizier, dessen jüngste, unter Eid getätigte Aussagen über sichergestellte Ufo-Wracks von einigen schon als „Paradigmenwechsel“ oder gar „ontologischer Schock“ eingestuft wurden? Raten (oder besser: recherchieren) Sie mit und beteiligen Sie sich am Judgment Game, wie es Richard Dolan einmal nannte – dem individuellen Ringen um die korrekte Urteilsbildung. In zwei Monaten lesen wir uns wieder.
Das universelle Bewußtsein steht nach dem globalen Bewußtsein auf dem Idelogieprogramm, so darf man vermuten. Die Glaubwürdigkeit wird erst nach der intensiven Beschäftigung mit dem Thema geschaffen.