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Überall in Irland ragen massive Rundtürme aus den Ruinen alter Klöster empor. Obwohl sie mutmaßlich im christlichen Mittelalter errichtet wurden, sind sie mit keltischen Symbolen verziert und stehen im Zentrum alter Rituale. Welchem Zweck sie ursprünglich dienten, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Während viele Historiker sie als Glockentürme bezeichnen, gibt es Anzeichen dafür, dass sie besondere Kraftorte markieren und wie steinerne Antennen kosmische Energien in den Boden übertragen.
Während ich durch Irland reiste, verblüffte mich die zeitlose Atmosphäre, die in den alten Traditionen der Iren zum Ausdruck kommt, immer wieder aufs Neue. Trotz der langen und bewegten Geschichte des Landes haben nicht wenige Überlieferungen und Bräuche in ihren ursprünglichen Formen überlebt. Ebenso finden sich im ganzen Land zahlreiche steinerne Zeugen des Altertums. Sie werden geachtet oder gar verehrt und sind dadurch besser erhalten und zahlreicher vorhanden als irgendwo sonst in Europa.
Zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Irlands zählen die hoch aufragenden raketenförmigen Rundtürme in den ländlichen Gebieten der Insel, die kühn aus den Ruinen alter Klöster hervorstechen. Mit ihrem typisch irischen Stil sind sie zu Symbolen der heimischen Kultur geworden. Sie sind raffiniert konstruiert, atemberaubend in ihrer schlichten Eleganz und überragen oftmals sämtliche anderen Bauwerke.
Foto von Junitta Vallak
Die Türme umgibt außerdem eine Aura des Geheimnisvollen. Zwar werden sie in den allermeisten Reiseführern als Glockentürme und Teile von Verteidigungsanlagen abgetan, doch will keine der beiden Erklärungen so recht einleuchten. In Kriegszeiten hätten sie einen miserablen Rückzugsort abgegeben, da es ein Leichtes gewesen wäre, sie mitsamt aller wichtigen Personen und Klosterschätze darin zu Schutt und Asche zu verbrennen – und es ist mehr als fragwürdig, ob es praktisch möglich war, in ihrem Dachgeschoss Glocken läuten zu lassen.
Türme gehörten schon immer zum Stoff romantischer Mythen und Legenden. In ihnen wurden Jungfrauen gefangen oder in Gewahrsam gehalten, die dort mitunter sogar von Göttern besucht wurden. Einer dieser mythischen Jungfrauen bot ihr Turm offenbar nicht genügend Schutz: Sie wurde von einem himmlischen Gott geschwängert, der sich als Lichtregen manifestierte – vielleicht ein Besucher vom Sirius? Als Merlin – angeblich ein Abkömmling einer überlegenen Rasse – in der Artussage die Erde verließ, „vereinigte er sich auf traditionelle Weise mit seinem Volk, indem er einen Turm betrat“.1
Die Faszination für die Türme wächst noch weiter an, wenn wir Miniaturmodelle von ihnen anfertigen, sie in unsere Gärten stellen – und bemerken, dass Pflanzen in ihrer Nähe viel schneller keimen und wachsen als anderswo. Waren die irischen Türme womöglich als steinerne Antennen konzipiert, die paramagnetische Energien aus den Sonnenstrahlen nutzbar machen sollten, um das Wachstum der klösterlichen Pflanzen zu verbessern? Das zumindest behauptet der amerikanische Insektenfühler-Experte Professor Phil Callahan.
Oder beruhten die Türme auf importierten Ideen, die intuitive Erinnerungen an lang vergessene Volkstraditionen wachriefen? Lassen Sie uns einen Blick auf die Theorien über die geschichtlichen und architektonischen Hintergründe werfen, um uns ein schärferes Bild zu machen.
Etwa 57 Rundtürme in verschiedenen Verfallsstadien finden sich verstreut über 28 der 32 irischen Grafschaften; weitere acht werden in den Annalen erwähnt, doch ihre Überreste wurden bis heute nicht gefunden. Die alten Annalen Irlands (die über die Zeit immer wieder umgeschrieben und editiert wurden) referenzieren 36 Mal auf die „Cloicteach“ – wörtlich übersetzt: „Glockenhaus“ – genannten irischen Rundtürme und führen sie als Schauplatz von 23 verschiedenen Ereignissen an, die sich teilweise in Variationen wiederholen.
In den Annalen sind vor allem Katastrophen festgehalten, denen die Türme anheimfielen. Stürme und Blitze forderten ihren Tribut, weiterhin Plünderungen und Brandschatzungen – manchmal durch Wikinger, öfter aber durch verfeindete irische Klans. Es finden bedeutende Geistliche und Edelmänner Erwähnung, die in den Türmen ihre Leben ließen, darunter der König von Tara, der im Jahr 1076 von einem konkurrierenden Lager getötet wurde, und der König von Fir Manach, den seine eigenen Männer im Jahr 1176 dem Feuer übergaben.
Die Annalen führen keine weiteren historischen Referenzen auf die Türme auf – bis zum späten 17. Jahrhundert, als Antiquare begannen, sich für sie zu interessieren. Es kursieren allerdings viele Legenden, in denen sich oftmals inkorrekte und maßlos übertriebene Beschreibungen der Höhe und Form der Türme finden.
In seinem 1834 erschienenen Buch „Atlantis in Ireland“ stellte Henry O’Brien die interessante Behauptung auf, die irischen Rundtürme seien atlantidischen Ursprungs. O’Brien war der Ansicht, nach der Sintflut seien Flüchtlinge vom versunkenen Kontinent nach Irland gelangt. Viele seiner Theorien sind unhaltbar und reichlich mangelhaft, geben aber immerhin eine spannende Lektüre ab.2
Der Amerikaner Ignatius Donnelly veröffentlichte 1882 eine ähnliche Theorie. Er sah in den Rundtürmen den Beweis dafür, dass die Atlantiden in grauer Vorzeit Irland kolonisierten. Vergleichbare Türme, so Donnelly, finde man auch in Phönizien, auf Sardinien, den Shetlandinseln, in Colorado, New Mexico, Indien und Südamerika. Einige davon seien zwar eckig, doch wie bei ihren runden Gegenstücken sollen sich die Türen auf etwa einem Drittel der Turmhöhe befinden.3
Einige irische Legenden passen tatsächlich zu dieser Idee. Die „Brasilinsel“, auch „Märchenland“, „Hy Brasil“ oder „Tir na nóg“ genannt, ist ein versunkenes Paradies westlich von Irland, in das die Seelen der Verstorbenen eingehen – ein Verweis auf Atlantis? Die geistliche Wissenschaft der Atlantiden bestach wahrscheinlich dadurch, die elektromagnetischen Kräfte der Erde nutzbar zu machen, um die Fruchtbarkeit der Böden und die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung zu gewährleisten.
Die biblische Sintflut könnte auf das Flut-, Erdbeben- oder Meteoriten-Ereignis anspielen, das Atlantis vor etwa 10.000 Jahren untergehen ließ. Es gibt Hinweise auf Lavaströme und versteinerte Süßwasseralgen unter dem Meeresboden des Atlantik, die auf diese Ära zurückgehen, während gleichzeitig pyramidenähnliche Unterwasserstrukturen in der Karibik und die sagenumwobenen 23 Kristallschädel für allerlei Spekulationen über eine atlantidische Kultur sorgen.4 Doch bis heute hat niemand handfeste Beweise für die Existenz der mythischen Insel gefunden.
Einige der frühesten kulturellen Einflüsse auf die Megalithvölker der westeuropäischen Küstenregionen kamen aus Richtung Westen, wahrscheinlich von der Iberischen Halbinsel, wo die Tätigkeiten der dortigen Megalithkultur eng mit besonderen Merkmalen in der menschlichen Genetik korrespondieren. Ich bin eher geneigt anzunehmen, dass es sich bei den Atlantiden um eine amphibische, fortschrittliche Rasse vom Sirius-System gehandelt haben könnte, die vor rund 10.000 Jahren im Gebiet des heutigen Atlantiks gelebt hat. Der atlantidische Einfluss könnte sich von Westen nach Osten auf die Mittelmeerregion ausgebreitet haben (Ägypten, Griechenland und Mesopotamien eingeschlossen), bevor er im Gewand europäischer Mysterientraditionen zurück auf die Äußeren Hebriden wanderte. Fest steht, dass viele irische Mythen den Anschein erwecken, in Griechenland zu wurzeln, besonders die agrarischen Mysterien.
Als er sein Buch veröffentlichte, fand O’Brien viel Zustimmung für seine Thesen, brachte aber gleichzeitig das Establishment in Verlegenheit. Bald darauf versuchte ein anderer Ire, George Petrie, O’Briens „verrückten“ Theorien das Wasser abzugraben und veröffentlichte im Jahr 1845 die erste wissenschaftliche Studie über die Rundtürme. Seitdem, und nahezu über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg, hat es erstaunlich wenige Publikationen gegeben, in denen die atlantidische Theorie angefochten wird.
Im Jahr 1979 veröffentlichte Professor George L. Barrow ein Buch über irische Türme, das allerdings ebenfalls nicht gerade durch historische Exaktheit brilliert. So schrieb er den Türmen zum Beispiel ein viel zu hohes Alter zu und nahm an, sie stammten aus vorchristlicher Zeit.
Welchem Zweck die Türme ursprünglich auch gedient haben mögen: Phil Callahans Forschungen, die er während des Zweiten Weltkriegs aufnahm, brachten ihn zur Überzeugung, dass die Türme als „steinerne Antennen“ fungieren, die in der Lage sind, kosmische Energien anzusammeln und in die Böden zu übertragen, was ein verbessertes Pflanzenwachstum zur Folge hat. Ein Teil der Forschung Callahans beruht unglücklicherweise auf Barrows unzuverlässigen Arbeiten, was die Angelegenheit noch einmal verkompliziert.
Zu den interessantesten Thesen Callahans gehört das Konzept, die Standpunkte der Türme würden auf einer Karte von Irland den Positionen bestimmter Sternenkonstellationen entsprechen. Sie wären damit Teil eines „irdischen Tierkreises“, der den Nordhimmel zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende widerspiegelt. Nachts war es Callahan möglich, knapp 15 Meter lange kosmische Strahlen zu messen, die von den gigantischen Hohlleiter-Strukturen angezogen wurden.
Diese Beobachtung veranlasste ihn zu der Annahme, das astronomische Wissen Ägyptens sei in die Konstruktion der Türme eingeflossen. Sein Buch „Ancient Mysteries, Modern Visions – The Magnetic Life of Agriculture“ begründete ein völlig neues Forschungsfeld. Viele Menschen meinen, seine Erkenntnisse gehörten zu den bedeutendsten Entdeckungen des Jahrhunderts.5
Im Jahr 1999 stellte der Architekt Brian Lalor das am besten recherchierte und reichhaltigste Werk zusammen, das bisher zum Thema erschienen ist. Lalor fotografierte und beschrieb 73 Türme und datierte sie gemäß ihrer architektonischen Stile. Das ist eine logische und willkommene Bereicherung der Debatte und ordnet die Türme stilistisch ins frühe Mittelalter ein.6 Im Jahr 2000 legte Roger Stalley nach und veröffentlichte einen kurzen, aber interessanten Reiseführer mit dem Titel „Irish Round Towers“.7
Es hat bisher keine systematische Untersuchung der Türme gegeben, die ihre Geheimnisse vollends ausleuchten würde. Keine der Theorien zur Erklärung der Türme ist frei von Makeln – es scheint, als würden wir mit unseren Deutungsversuchen nur an der Oberfläche kratzen.
Irlands Rundtürme stellen eine einzigartige architektonische Form dar. Auch die zwei Türme im irischen Stil, die in Schottland und auf der Isle of Man gefunden wurden, sind wahrscheinlich von irischen Missionaren und Baumeistern errichtet worden. Die Türme sollten nicht mit jenen Rund- und Vierecktürmen verwechselt werden, die im 19. Jahrhundert erneut modern wurden.
Von den 36 Türmen, die noch vollständig erhalten sind, ist der imposante schiefe Turm von Kilmacduagh in der Grafschaft Galway mit 34 Metern der höchste. Vierzig Türme finden sich in den Ruinen klösterlicher Siedlungen; der Rest steht isoliert, wobei man ursprünglich annahm, dass es auch in ihrer unmittelbaren Nähe ein Kloster gegeben haben müsste.
Das Verhältnis der Turmhöhe zu ihrem Durchmesser beträgt etwa 4:1 oder 5:1. Die Wände verjüngen sich von der Basis aufwärts in einem Winkel von drei bis vier Grad. Der Winkel der konisch geformten Dachkappen beträgt oft um die 45 Grad und ist laut Callahan durch den Breitengrad Irlands bedingt, der wiederum in Relation zum Sonneneinfallswinkel steht.
Das alles passt gut in seine Theorie – doch schaut man auf der Karte nach, liegt Irland gar nicht in einer 45-, sondern eher in einer 52-Grad-Zone.
Da sie aus römischem Mörtel gefertigt wurden, konnten die Türme höher gebaut werden als jedes andere Gebäude vor ihnen. Sie waren so robust, dass einer der Türme in Clondalkin, Dublin, sogar intakt blieb, als nur acht Meter von seiner Basis entfernt eine Pulvermühle explodierte – jedes Gebäude in der Nähe wurde zerstört, nur der Turm nicht. Der Rundturm von Maghera kam bei einem Erdbeben zu Fall, doch kam er weder während des Sturzes noch beim Aufprall zu Schaden, sondern liegt seitdem im Ganzen auf dem Boden und mutet wie ein riesiges Kanonenrohr an.
Die frühen Türme im archaischen Stil waren mit wenigen Ausnahmen schlicht und simpel gestaltet. Später, als der romanische Baustil Irland erreicht hatte, adaptierten die Turmbauer dessen typische Verzierungen.
Seltsamerweise sind nur selten christliche Symbole an den Türmen zu finden, für gewöhnlich stechen vielmehr keltisch anmutende Motive ins Auge. In mehrere Türme – zum Beispiel in Devenish – sind hier und da ein oder zwei Kopfpaare eingraviert. Sie könnten natürlich Heilige darstellen, setzen aber auch eine seit langer Zeit bestehende keltische Tradition fort, da die Kelten den menschlichen Kopf als Sitz der Kraft und des Geistes ansahen und auf dem Schlachtfeld gar Köpfe als Trophäen sammelten.
Das Dachgesims des Turms in Devenish ist mit einem dekorativen Fries verziert (Rauten und S-Formen zwischen den Rändern), und der Turm in der Anlage von Temple Finghin in Clonmacnoise zeigt ein einzigartiges Fischgrätenmuster auf seiner Haube; ein weiteres Stück keltischer Mode, das man auch an einigen britischen Gebäuden aus dem 11. und 12. Jahrhundert bewundern kann.
An einem der Türme prangt ein keltisches Kreuz, ein bekanntes vorchristliches Symbol; auf einem anderen finden sich spiralförmige Windungen. In den Turm von Drumlane sind zwei Vögel eingraviert, darunter ein Hahn – ein weiteres Lieblingssymbol der Kelten. An einem Turm befindet sich eine primitive Kreuzigungsfigur, die aber durchaus auf das ältere Thema des zyklischen Sterbens und Wiederauferstehens einer Königs- oder Grüner-Mann-Figur zurückgehen kann, zumal diese Überlieferung älter ist als das Christentum.
Einen weiteren Turm schmückt eine Sheela-na-Gig. Der Anblick dieser Wasserspeier-ähnlichen, explizit sexuellen weiblichen Figuren sollte den Menschen des Mittelalters angeblich helfen, ihre fleischlichen Gelüste zu zügeln. Viel wahrscheinlicher gehen die Sheelas auf eine leidenschaftlich-herrische Fruchtbarkeitsgöttin zurück. Später galten sie als Schutz- und Glückssymbole und laut Harbison rieben Pilger ihre Hände an ihren ausladenden Genitalien.8 Hinweise dafür finden sich auch an den Sheela-na-Gigs, die im Dublin Museum ausgestellt werden.
Die Eingänge der überwiegenden Mehrheit aller Rundtürme befinden sich weit über dem Boden. Lalor glaubt, dass nur die frühesten Versionen über Türen auf Bodenniveau verfügten. Für respektlose Angreifer hätten sie ein verführerisch einfaches Ziel abgegeben. Die höchste Tür prangt neun Meter über dem Boden am Kilmacduagh-Turm – was es sehr unwahrscheinlich macht, dass zum Besteigen eine Leiter aus seinem Innern herausgereicht wurde. Vielleicht nutzte man einst Strickleitern oder hölzerne Treppen, doch für beide Annahmen gibt es keine Belege.
Foto von Junitta Vallak
Die Türen weisen in den meisten Fällen nach Osten oder zumindest in eine östliche Richtung. Im Allgemeinen lagen sie gegenüber der Westpforte der Hauptkirche des Komplexes. Vielleicht gab es energetische Gründe für diese Ausrichtung – immerhin konnte Callahan an Megalithstrukturen, Rundtürmen, gotischen Kathedralen und anderen altertümlichen Monumenten extrem niederfrequente (ELF-)Energien messen, die sich in den Bauwerken zu sammeln schienen. Er schrieb dazu:
„Es sieht danach aus, dass die meisten heilenden / religiösen Strukturen […] nach Osten weisen, sodass sich die schwache Energie im Eingangsbereich und die starke Energie im hinteren Teil konzentriert, wo sich der Altar oder die Heilkammer befindet.“9
Im Innern der Türme gab es einst hölzerne Stockwerke und darunter einen Keller aus rohem, unbehauenem Stein. Einer der Turmkeller hat ein Fenster. In den Kellern der Türme in Glendalough und Kilmacduagh gibt es ungewöhnliche schmale, horizontale, rechteckige Passagen, die direkt durch die Kellerwand laufen. Möglicherweise dienten sie der Trocknung oder Belüftung.
Die zweite Etage der Türme könnte die wichtigste gewesen sein, da hier oft Konsolen (Kragsteine) zu finden sind, die als Aufhängungen für Lederranzen gedient haben könnten, in denen wichtige Schriften und andere Klosterschätze aufbewahrt wurden. Lalor nennt dieses Stockwerk die Schatzetage.
Sechs Türme verfügen über sehr große Fenster in der zweiten Etage, von denen alle beinahe die Größe einer Tür haben und vier nach Osten weisen. Die Fenster der Schatzetage wurden in der Regel links oder rechts über der Tür angelegt. Da dies das einzig ausreichend beleuchtete Stockwerk war (und einige Etagen über gar kein Fenster verfügten), ist es durchaus plausibel, dass hier Reliquien und Wertgegenstände aufbewahrt wurden.
Allgemein gesprochen wurde zunächst das Fenster im zweiten Stock über der Tür angelegt, während sich die restlichen Fenster für gewöhnlich, vom ersten ausgehend, mit oder gegen den Uhrzeigersinn den Turm emporschraubten. Das vergrößerte einerseits das Sichtfeld von Beobachtern und Wachen und ahmte außerdem den architektonischen Stil europäischer Glockentürme nach, deren Fensterarrangement durch den Verlauf der Wendeltreppen vorgegeben wurde. Die Fenster in solchen Glockentürmen waren meist relativ klein und auf Bodenhöhe angesiedelt.
Das Obergeschoss ist das einzige Stockwerk, das sich von den anderen unterscheidet, wobei die meisten Türme ihr Obergeschoss verloren haben. Für gewöhnlich befanden sich hier vier Fenster, die mehr oder weniger nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet waren, und weitere Fenster, die so angelegt waren, dass sich von ihnen aus wichtige Straßen oder Täler überwachen ließen.
Wären die Türme wirklich als Glockentürme genutzt worden, hätte das große Schwierigkeiten mit sich gebracht. Die Zeit wurde in jenen Tagen fast ausschließlich durch Glockenschläge angegeben, was äußerst wichtig war, um sicherzustellen, dass die Klostertätigkeiten flüssig vonstattengingen – Verspätungen und Säumigkeit standen sogar unter Strafe. Mehrmals am Tag das sogenannte „Glockengeschoss“ zu erklimmen, wäre angesichts der vielen Leitern oder Treppen sehr mühselig gewesen.
Es gibt keinen überlieferten Mechanismus, der erklären würde, wie Glocken und Stricke in den Türmen zum Einsatz gekommen wären – und Glocken wurden darüber hinaus ohnehin keine gefunden. Die in den Annalen beschriebene Zerstörung großer Glocken bezieht sich auf feingehämmerte Handglocken, die in Irland in Mode waren, als die Türme gebaut wurden.
Vielleicht wurden die Glocken von den Türen oder Schatzfenstern aus geläutet. Die typischen vier „Glockengeschoss“-Fenster könnten etwas mit dem rituellen Glockenläuten während der Lithurgie zu tun haben, da sich in den Fenstern die Kreuzform widerspiegelt; allerdings gibt es viele Ausnahmen von diesem Arrangement – Kilmacduagh etwa verfügt über sechs Fenster im Obergeschoss.
Interessanterweise wurde die große Mehrheit der Handglocken zwischen dem achten und zehnten Jahrhundert gefertigt, und das Glockengießen scheint nach etwa 900 n. Chr. aus der Mode gekommen zu sein – just als der Turmbau seinen Zenit erreicht hatte. Nur wenige Handglocken stammen aus dem 12. Jahrhundert.7
War der Rundturm eine rein importierte Form oder ist er Ausdruck einer einheimischen irischen Spiritualität und Kosmologie? Gibt es Hinweise auf eine evolutionäre Entwicklung hin zu dieser Form?
Ab etwa 10.000 v. Chr. begannen die neolithischen Völker Westeuropas damit, Hünengräber aus massiven Steinen, Holz und Erde anzulegen, auch Dolmen und Cromlechs genannt. Diese zeremoniellen Totenbauten gehören zu den frühesten menschengemachten Monumenten, die je gefunden wurden. Noch heute sind ca. 40.000 Hünengräber erhalten.
Um 3.000 v. Chr. vollzog sich eine stilistische Änderung, als kreisförmige Monumente in Mode kamen. In Irland (und auch im Norden Wales und Schottlands) wurden die Grabschreine nun als riesige Rundhügel angelegt. Sie wiesen eine oder mehr Passagen auf, die in die zentrale Steinkammer mündeten; ein Beispiel sind die eindrucksvollen, 5.000 Jahre alten Ganggräber in Newgrange. Derartige Ganggräber waren im Innern mit Gravuren versehen und nach der Sonne ausgerichtet; üblicherweise orientierten sie sich an der Wintersonnenwende.10
Ursprünglich wurden wichtige Siedlungen inmitten großer kreisförmiger Erdwerke angelegt, sogenannten Raths, Lios (wörtlich: Viehpferchen) oder Ringforts (was fälschlicherweise einen rein defensiven Zweck suggeriert). Bei den irischen Trockenmauer-Ganggräbern und -Cashels handelt es sich ebenfalls um kreisförmige Strukturen. Vielleicht wurde der Ringform eine heilige, magische Schutzwirkung nachgesagt. Lalor argumentiert, ein Rundturm sei nichts anderes als ein Stein-Cashel plus römischem Zement, jenes neue Material, das es erlaubte, nach dem Vorbild europäischer Glockentürme in die Höhe zu bauen.
Das Grianán von Aileach (Steinhaus der Sonne) nahe Londonderry in der Grafschaft Donegal ist das berühmteste antike Bauwerk der historischen Provinz Ulster. Laut Lalor war die königliche Anlage etwa vom 5. bis zum 12. Jahrhundert bewohnt, wobei ihr andere Forscher ein weitaus höheres Alter zuschreiben. Donnelly gibt an, dass sie im Jahr 140 n. Chr. bereits von Claudius Ptolemäus erwähnt wurde.
Der niedrige Steinturm der Anlage (ein „Cashel“) wurde 263 Meter oberhalb des Meeresspiegels auf dem Gipfel eines Rundhügels erbaut und erhebt sich inmitten dreier konzentrischer, kreisförmig angelegter irdener Ringwälle. Von diesem zentralen Punkt aus lassen sich fünf Grafschaften überblicken. Rutengänger berichten, dass hier mehrere „Ley-Linien“ zusammenlaufen. Der einzige Eingang der Anlage ist nach Osten ausgerichtet, wie traditionell bei allen Ringforts üblich. Das Mauerwerk dieses wichtigen Gebäudes zeigt alle Gestaltungselemente archaischer Rundtürme: eine typische, ringförmige Bauweise mit abgeböschten (nach innen geneigten) Wänden, primitive Türstürze und geneigte Türrahmen.
Grianán ist ein Oberbegriff für ein steinernes Gebäude auf einer Bergspitze, auf das die ersten Strahlen der Sonne treffen; später bezeichnete man damit auch einen Wintergarten auf dem Dach eines Hauses. Der Tradition nach war er eine Frauenresidenz, zu der Männer keinen Zutritt hatten. Ein solcher Grianán existierte auch in Tara. In den Legenden wurden Grianáns als Orte der Gefangenschaft dargestellt, wo Königstöchter vor der Männerwelt versteckt wurden. Sie waren außerdem Thronsäle matriarchaler Heldinnen. Von Feenköniginnen sagte man, sie würden in Grianáns aus reinem Kristall leben, sogenannte „Feenlauben“. Das Grianán von Aileach soll angeblich von drei „Prinzessinnen“ regiert worden sein: Sonne, Mond und Sterne. Es könnte also teilweise als Observatorium gedient haben.
Das Innere eines Turms, vom Boden aus nach oben fotografiert
Das Cashel wurde zuerst im Jahr 676 zerstört und ein zweites Mal vom König von Munster im Jahr 1101, bis es im 19. Jahrhundert schließlich „restauriert“ wurde. Es ist eines der wenigen archäologischen Überbleibsel der späten Eisenzeit bzw. des frühen Mittelalters. Die restlichen, ähnlichen Cashels aus dieser Periode sind Don Aengus auf Inishmore, eine der Aran-Inseln, und Staigue Fort in der Grafschaft Kerry.
Andere Hinweise auf die Kreisform finden sich in der irischen Landschaft: Die Insel ist übersät von Steinkreisen und Menhiren. Energetisch betrachtet sind viele dieser Megalithen noch heute intakt und wirken wie Nadeln zur Erdakupunktur. In einer landwirtschaftlichen Gesellschaft dienten Fruchtbarkeitskulte dazu, die Erneuerung der Kulturzyklen aufrechtzuerhalten. Die Menschen wirkten rituell auf die Naturkräfte ein, um die Balance von Yin- und Yang-Energien zu gewährleisten. Die phallische Natur von Menhiren und Türmen scheint in diesem Kontext gut ins Bild zu passen, falls sie tatsächlich dazu bestimmt waren, die kosmischen Yang-Kräfte in den Schoß von Mutter Erde zu leiten.
Lalors Methode, die Türme gemäß ihrem architektonischen Stil zu datieren, ist äußerst überzeugend, obschon er einräumt, dass Mauerstile in dieser Hinsicht nicht sehr zuverlässig sind, weil sie keiner logischen stilgeschichtlichen Entwicklung folgen. Irische Maurer waren konservativ und hielten sich größtenteils an die alten Formen.
Das Innere eines Turms, vom Boden aus nach oben fotografiertDie Bauweise der Rundtürme blieb über die rund 250-jährige Turmbauphase hinweg unverändert. Tatsächlich überlebte das grundlegende kreisförmige Planungskonzept in Irland länger als sonst irgendwo in Europa – vom späten Neolithikum bis ins Spätmittelalter. Es wurde zunächst für Bestattungs- und rituelle Zwecke und später für Behausungs-, militärische und geistliche Zwecke herangezogen.
Die irische Bautradition erfuhr nach 500 Jahren zunächst leichte Veränderungen, als im 11. Jahrhundert kunstvollere romanische Stile modern wurden. Ein grundlegender Wandel vollzog sich schließlich im 12. Jahrhundert, als die Normannen ihre rechteckige und geordnete Bauweise mit Gewalt durchsetzten.
Das kreisförmige Planungskonzept spiegelt sich noch heute in der Anordnung von Häusern und Straßen um viele wichtige Kirchenzentren wider. Ein weiteres Merkmal, das immer noch mit Türmen und Klöstern in Verbindung steht, sind die Baumreihen entlang der Straßen, die zu den entsprechenden Siedlungen führen.
Etwa zwischen den Jahren 650 und 300 v. Chr. wanderten heidnische keltische Völker mit fortschrittlichen Technologien nach Irland ein und begannen die einheimische Kultur in einem gewissen Maß zu verdrängen. Die Gesellschaft veränderte sich allerdings nicht bedeutend, und nach der keltischen Invasion genoss Irland eine lange Zeit friedlicher Unabhängigkeit – bis zum Einfall der Normannen im Jahr 1169 n. Chr.
Die Eisenzeit, die mit der Ankunft der Kelten ihren Anfang genommen hatte, war im Jahr 432 n. Chr. gerade vorüber, als St. Patrick in Irland zu missionieren begann. Im Verlauf der zweiten Hälfte der Eisenzeit wandelte sich das Angesicht Irlands sehr zügig, denn mit dem Aufkommen eiserner Landwirtschaftswerkzeuge mussten immer mehr Wälder Kulturlandschaften weichen, was durch Pollenanalysen bestätigt wird.
Der Wandel beschleunigte sich im 4. und 5. Jahrhundert drastisch, was wahrscheinlich auf die Einführung des Eisenpflugs zurückgeht. Interessanterweise besagen alte Überlieferungen, Eisen halte Feen und Hexen fern. So soll ein eiserner Schlüssel unter einem Stuhl Hexen unschädlich machen. Mit der Eisenzeit begann auch der Niedergang alter Traditionen und Sagen über die Naturgeister. Unter Rutengängern ist Eisen dafür bekannt, feinstoffliche Energien zu „unterbrechen“, und da die Landschaft während der Eisenzeit so drastisch verändert wurde, lässt sich leicht nachvollziehen, warum einige Menschen ihren Siegeszug als das Ende der harmonischen Beziehung zwischen Mensch und Natur begriffen.
Während seiner Unabhängigkeit entwickelte sich in Irland eine relativ friedliche, überraschend egalitäre Kultur. Jede der fünf Provinzen wurde von einer straffen Allianz aus 150 mehr oder weniger bedeutenden Dynastien regiert, die jeweils die Königsherrschaft über zumeist recht kleine Territorien („Tuatha“) beanspruchten.
Die Gesamtbevölkerung mag damals vielleicht 500.000 Menschen betragen haben, und in den einzelnen Klans herrschte ein starkes Gemeinschaftsgefühl. In ihren umfriedeten Behausungen, den Ringforts, lebten sie in Sippenverbänden zu jeweils vier Generationen zusammen, die sich auf einen gemeinsamen Ahnen beriefen.
Fehden und gegenseitige Angriffe zwischen den Gruppen waren keine Seltenheit. Doch trotz der politischen Unterteilung in eine Vielzahl von Königreichen war die indigene Kultur Irlands überraschend homogen. Ein regelrechter Nationalkodex, die Brehon Laws, verherrlichte Gerechtigkeit und sprach Frauen einen recht ansehnlichen Status zu. Auf der ganzen Welt waren die Iren bald für ihre Weisheit und ihr Wissen bekannt. Das irische Rechtssystem war trotz der Abwesenheit einer Zentralverwaltung effektiv. Es setzte auf allgemeinen Konsens und die Autorität besonderer Rechtsgelehrter – der Brehon –, die von den Lokalherrschern eingesetzt wurden.
Die christliche Ära führte das formelle Ende des Heidentums herbei, obwohl es nie gänzlich ausgerottet wurde. Die Kirche war gewieft genug, heidnische Stätten für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, um die Loyalität der Einheimischen einfacher erschleichen zu können: Im Grunde genommen ähnelte der Glaube der Römer dem der Iren – also schrieb Papst Gregor I. im Jahr 601 n. Chr. an Augustinus von Canterbury und trug ihm auf, die heidnischen Tempel nicht zu zerstören, sondern sie ausfindig zu machen, zu bereinigen und in Kirchen umzuwandeln.
Trotz der scheinbaren Kontinuität regte sich im Volk heftiger Widerstand gegen die neue Religion, da die Menschen energisch an den irischen Überlieferungen festhielten. Einige Forscher meinen, dass die sogenannte Keltische Kirche ein Verschnitt aus Heiden- und Christentum gewesen sei. Sicherlich fanden in Irland viele heidnische Vorstellungen und Praktiken ihren Weg in das christliche Glaubenssystem, doch längst nicht so viele wie in Italien, Sizilien und Griechenland. Laut dem modernen Druiden Phillip Carr-Gomm handelt es sich bei der Keltischen Kirche eigentlich um einen Mythos, der von protestantischen Reformatoren promulgiert wurde, um ihre „ursprünglichere“ Religion als Alternative zum römischen Katholizismus durchzusetzen. Forschungsergebnisse aus den 1970er Jahren haben die Keltische Kirche laut Carr-Gomm endgültig ins Reich der Fiktion verbannt.10
Schon im Jahr 431 n. Chr. wurde Irlands erster Bischof Palladius aus dem spätrömischen Großbritannien nach Irland geschickt, also muss es zu dieser Zeit bereits einen nennenswerten christlichen Anteil in der Bevölkerung gegeben haben, der diese Entscheidung rechtfertigte. Der heilige Patrick dagegen kam auf eigene Faust aus Wales nach Irland gewandert. Von einer Vision geleitet, bereiste er überwiegend die nördliche Hälfte der Insel. Die Kraft des irischen Heidentums und der Sonnenverehrung (auf die ich in einem anderen Kapitel meines Buches ausführlich eingehe) wird darin deutlich, dass St. Patrick den Iren im 5. Jahrhundert erklärte, Christus sei „die wahre Sonne“. Allerdings hatte die Mär von Patricks Einfluss viel mehr mit Politik zu tun als mit sonst irgendetwas. Die meisten Geschichten über seine Abenteuer waren schlichtweg erfunden.
Sicher haben Rom und Europa in jenen Tagen Einfluss auf Irland genommen, was allein schon aus den technischen Errungenschaften ersichtlich ist. Als etwa 500 Jahre nach St. Patrick aber der Turmbau zu florieren begann, hielten die Baumeister an ihren archaischen Stilen fest – ein Hinweis darauf, dass es keine allzu starke Beeinflussung aus der Fremde gegeben hat.
Zwischen dem 5. und 13. Jahrhundert gab es in Irland zahlreiche verstreute, landwirtschaftlich geprägte Niederlassungen mitten im offenen Grasland. Wir wissen von bis zu 50.000 Ringfort- oder Rath-Siedlungen. Sie bargen die Wohnstätten des Stammes mitsamt seinem Vieh; Zäune auf den Wällen boten zusätzlichen Schutz gegen Wölfe. (Selbst Leichen, die auf dem Friedhof vergraben lagen, waren vor den Wölfen nicht sicher.) Einige Ringforts waren politische Machtzentren, andere waren monastische Siedlungen, und viele waren wahrscheinlich beides. Jede konnte sich selbst versorgen und war vertraut mit allen möglichen Arten des Handwerks. Das technische Niveau konnte mit dem jeder vergleichbaren Zivilisation mithalten – nur ein Element fehlte: Es wurden so gut wie gar keine Keramiken angefertigt. Der wichtigste Rohstoff war Holz.
Im 6. Jahrhundert begann die irische Kirche ägyptische und syrische Vorstellungen des klösterlichen Zusammenlebens zu adaptieren. Das Konzept ließ sich bestens auf die bereits bestehende Siedlungsstruktur übertragen.
Schon bald wurde die Klostergemeinschaft zum wesentlichen Organ der frühen irischen Kirche, während sie gleichzeitig die gesellschaftliche Kontinuität und Ordnung aufrechterhielt. Die Abtwürde war eine Frage des Familienerbes und der Verwandtschaft, weshalb die Klosterstifter und Heiligen immer von adeliger Herkunft oder mit den Herrscherfamilien verbandelt waren.
Anders als die hochorganisierten religiösen Orden Europas waren die irischen Klosterstädte organisch strukturiert. Ihre Gebäude waren niedrig und flach (bis der Turmbau begann), mit vielen kleinen Kirchen und willkürlich positionierten Nebengebäuden.
Kirchen aus Holz oder gar lehmbeworfenem Flechtwerk waren ursprünglich die Regel; außer im Westen, wo es reichliche Gesteinsvorkommen gab. Bis zum 10. Jahrhundert waren die Holzkirchen schließlich steinernen Gebäuden gewichen, während weniger wichtige Gebäude nach wie vor aus Holz konstruiert wurden.7
Im 9. Jahrhundert sprach der deutsche Mönch Strabo von „den Iren, deren Brauch, fremde Länder zu bereisen, ihnen heute fast ins Blut übergegangen ist“. Während der Blütezeit der Wallfahrten nach Rom und Europa, die etwa im 6. Jahrhundert ihren Anfang nahmen, wurden irische Pilger als „Peregrini“ bezeichnet. Man kann sich die Aufregungen und Abenteuer vorstellen, die eine solche Pilgerreise mit sich brachten. Zudem war sie sicher nicht billig und damit der Oberschicht vorbehalten: Die ersten irischen Touristen waren Könige und höhergestellte Geistliche.
Es existierten gut organisierte Pilgerruten, die von besonderen irischen Herbergen gesäumt waren. Oft beriefen irische Bischöfe auf ihren Reisen Pilger in den Priesterstand, und viele irische Gelehrte arbeiteten an den Höfen der Karolinger. Den weltlichen Machthabern Europas war das Verhalten der irischen Pilger zunehmend ein Dorn im Auge, weshalb sie im 8. Jahrhundert im Ausland zu personae non gratae denunziert wurden und man ihnen nahelegte, ihre Pilgerreisen zu Hause durchzuführen.
Auf ihren Wanderungen haben reiche Pilger wahrscheinlich mit Staunen auf die Kirchengebäude des karolingischen Königsreichs geblickt (in Frankreich, Deutschland und Belgien) und nicht ohne Neid die architektonische Finesse der Bauwerke – zum Beispiel der Glockentürme – zur Kenntnis genommen, die es in Irland nie gegeben hatte. Die Dimensionen der Gebäude waren wesentlich imposanter als daheim und müssen den Iren einiges an Ehrfurcht abgewonnen haben. An nahezu allen wichtigen Pilgerstationen auf dem Kontinent konnte man italienische Kampanilen bewundern, etwa in Rom, Ravenna und anderswo. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Pilger beschlossen, diese hochaufragenden Statussymbole auch in irischen Klöstern zu etablieren.8
Im Zuge der spirituellen Reformen der Culdee-Bewegung ebbte der irische Pilgerstrom ins Ausland um 800 n. Chr. ab. Die Culdee stehen nach Vermutungen einiger Forscher mit den Druiden in Verbindung und es wird behauptet, dass die irische Turmbauphase auf ihre Initiative zurückgeht.
Vom 8. Jahrhundert an etablierten sich überall in Irland eigene Wallfahrtsorte, und ungefähr zu dieser Zeit könnte auch der Turmbau seinen Anfang genommen haben (manche verlegen ihn auf das 10. Jahrhundert). Die europäischen Glockentürme wurden von irischen Steinmetzen nachgeahmt, die mit den traditionellen archaischen Bauweisen vertraut waren. Dank des nun verfügbaren römischen Zements konnten sie die steinzeitliche Cashelform derart verbessern, dass es ihnen möglich war, weiter in die Höhe zu bauen. Die so konstruierten Türme dienten als weithin sichtbare Erkennungszeichen für Pilger; als Aussichtstürme, von denen sich nahende Gefahren früh genug erkennen ließen; als Schatzkammern und als Quasi-Glockentürme, in denen regelmäßig Handglocken geläutet wurden.
Ein Rundturm, Armore, Co. Waterford, Irland. Foto von John Hinde
Die Türme wurden vornehmlich auf Kirchhöfen errichtet, wobei der Abstand zur Kirche variierte. Typischerweise standen sie links oder rechts der Westpforte, das heißt im Nordwesten oder Südwesten des Kirchengebäudes. Nur wenige andere Klosterbauten wurden derart planmäßig errichtet. Kirchen entstanden meist ad hoc und hatten nur gemein, dass sie sich von Westen nach Osten erstrecken, sodass ihre Altarseite nach Jerusalem wies. Nur die Rundtürme scheinen in einer besonderen räumlichen Beziehung zur Hauptkirche zu stehen.
Es ist gut möglich, dass ihre bevorzugte Position die direkte Nachahmung einer europäischen Sitte war, welche den Glockenturm einer besonderen architektonischen Ausstattung zurechnete, dem „Westwerk“. Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert wurden karolingische Türme immer auf der Westseite der Kirche errichtet. Anders als die gleichzeitig erbauten irischen Türme standen die Glockentürme der Karolinger nicht frei, sondern waren anderen Bauwerken angegliedert.6
Offensichtlich erfüllte die irische Juxtaposition einen logischen Zweck, der rein praktischer Natur gewesen sein muss: Die Kirchengemeinde passte schlichtweg nicht in die kleinen Kirchen Irlands und versammelte sich während der Messen um das außerhalb der Kirche stehende Hochkreuz neben dem Turm, von wo aus sie das Geschehen an den Türen von Kirche und Turm beobachten konnte.
Im Fokus der inneririschen Pilgerreise standen viele urtümliche heidnische Praktiken, und man muss sich fragen, welche Relevanz sie überhaupt für den Christuskult hatte. Zum Glück sind auf diesem Wege viele faszinierende Volksbräuche bewahrt worden: Heidnische Götter wurden schlichtweg umbenannt und die einheimischen Feste in ein christlichen Gewand gekleidet; doch der Kern der Anlässe – das Feiern der zyklischen Fülle der Natur, die Huldigung ihrer fruchtbaren Energien und der Heilkräfte von Gewässern und Steinen – blieb erhalten.
So hallt in den bedeutenden Pilgerbräuche am Mount Brandon das gedämpfte Echo früherer Festlichkeiten zu Ehren des lokalen Erntegotts Crom Dubh wieder, dem am Crom-Dubh-Sonntag, dem letzten Sonntag im Juli, gehuldigt wurde. Die Wallfahrt beinhaltete eine nächtliche Besteigung des Berges, einen Gebetskreis um die Ruine eines alten Oratoriums, das auf dem Weg zum Gipfel lag, und abschließend den Besuch alter Grabhügel und eines Säulensteins namens „Rückenstein“ – die Pilger lehnten sich rücklings gegen ihn, um sich von Rückenbeschwerden zu befreien.
Nach der Besteigung des Gipfels war es Brauch, zum Dorf Cloghane zurückzukehren und dort Spiele zu spielen, Sport zu treiben, zu voltigieren, tanzen, singen, schlemmen und auf Brautschau zu gehen. Der katholische Klerus bemühte sich im 18. Jahrhundert dem Treiben einen Riegel vorzuschieben; doch im Jahr 1868 ließ ein Bischof die Tradition erneut aufleben. Heute ist Cloghane einer der wenigen Orte in Irland, an dem die Ernte an jenem Wochenende im Spätsommer noch gefeiert wird, was der Region regelmäßig einen regen Touristenstrom beschert.
Eine ähnliche viertägige Festlichkeit fand einmal im Jahr im südlich von Dublin gelegenen Glendalough statt, dem einst wichtigsten christlichen Lehrzentrum Irlands. Da es regelmäßig zu Raufereien, Trinkgelagen und kuriosen Parteigefechten kam, verbot die katholische Kirche die Wallfahrt im Jahr 1862. Glendalough ist eine der wenigen Pilgerstätten, zu der eine genau festgelegte Route führt, die von West-Wicklow aus über den Wicklow Gap verläuft. Am Anfang der Strecke wurde nahe der Ortschaft Hollywood ein Granitstein mit einer Labyrinthritzung entdeckt, die heute im Dublin Museum besichtigt werden kann.
Die Kirche verbot auch Wallfahrten nach Inis Cealtra, eine Insel im Lough Derg in der Shannon-Region, wo es der Legende nach einen heiligen Baum gegeben haben soll. Noch heute ist dort ein 24 Meter hoher Rundturm zu bewundern. Die Patronatsfeiern, die an einem alten Brunnen namens Lady’s Well abgehalten wurden, fallen mit dem Erntefest des keltischen Gottes Lugh zusammen. Das Verbot wurde erlassen, weil die Kirche es leid war, dass ortsansässige Männer junge Frauen für „Buschhochzeiten“ entführten – dies sei ein alter Brauch, mokierten die Männer, von dem sie kein Gesetzt abhalten könne.
Auf Inishmurray, einer Pilgerinsel vor der Küste der Grafschaft Sligo, besuchten die Pilger zunächst die heiligen Brunnen von St. Molais und anschließend eine Reihe von Fluchsteinen, von denen einige eingeritzte Kreuze aufweisen, die dem alten heidnischen Kult vermutlich einen christlichen Anstrich verpassen sollten. Die Steine zählen zu den meistverehrten Kennzeichen der Insel. Die eindeutig heidnische Tradition sah vor, zunächst eine Fastenzeit einzulegen, die Stätte dann gegen den Uhrzeigersinn zu umkreisen und die Steine schließlich dreimal umzudrehen, um bei jeder Umdrehung einen bestimmten Fluch hervorzubringen. War der Fluch nicht gerechtfertigt, fiel er auf den Fluchenden zurück. Im Zweiten Weltkrieg soll Adolf Hitler auf Inishmurray verflucht worden sein. Ganz in der Nähe befindet sich ein aufrecht stehender Stein mit Löchern in seinen Ecken. Der Brauch sah vor, dass werdende Mütter ihre Finger durch die Löcher stecken, um sich einer erfolgreichen Geburt zu versichern.
Ein weiteres interessantes Merkmal von Pilger- und Klosterstätten sind die Bullaune genannten Zeremoniensteine, in die bis zu neun tassenförmige Löcher gehauen sind. Manchmal werden sie mit Heilungen in Verbindung gebracht, etwa der Entfernung von Warzen. Seltener finden sich runde Steine in den Löchern einiger Bullaune, die ebenfalls als Fluchsteine Verwendung fanden, schreibt Harbison.
Die Wallfahrten in Glencolmcille in der Grafschaft Donegal begannen an einer protestantischen Kapelle, von der aus die Pilger barfuß zur ersten Station schritten: einem megalithischen Hügelgrab, an dem sie niederknieten und beteten. Die zweite Station markierte ein Säulenstein, den sie unter Gebeten und Kniefällen dreimal umrundeten. An der dritten Station knieten sie an einem Cairn mit besonderen Hohlräumen für die Knie nieder, nahmen einen rundlichen Stein in die Hand, segneten sich mit ihm und führten ihn dreimal um ihren Körper herum. Die nächste Station, die Kapelle des heiligen Colmcille, markierte eine lange Bodenfliese, die als Sankt Colmcilles Bett bezeichnet wird. Die Pilger legten sich darauf, drehten sich dreimal um sich selbst und nahmen etwas Erde von unterhalb des Bettes in ihre linke Hand. Diese Prozedur sollte vor Bränden schützen sowie Kopfschmerzen und andere Leiden heilen.
In der bedeutenden zentralirischen Klosterstadt Clonmacnoise wurde ein prachtvoller offener Halsring – ein sogenannter Wendelring – ausgegraben, der aus der Zeit um circa 3.000 v. Chr. stammen soll. In Clonmacnoise pilgerten die Gläubigen zum Schrein des Kirchenstifters St. Ciarán, und gruben etwas Tonerde aus, die sie zu Hause in ihr Trinkwasser gaben, wovon sie sich eine „zuverlässige Heilung von Krankheiten aller Art“ versprachen. (Ton ist auf der ganzen Welt als Heilmittel für viele Gesundheitsprobleme bekannt.) Der Rundturm von Clonmacnoise steht fast exakt in einer Linie mit jenem Abschnitt des Pilgerweges, der zum Schrein des heiligen Ciaran führt. Gleicht man die Gegend mit einer Sternenkarte des Nordhimmels ab, soll Clonmacnoise genau unter Polaris liegen, dem Nordstern.
Der Glaube an die Heilkraft der Erde eines Heiligengrabs war in den frühen Jahren des Christentums auch in Europa und anderswo weitverbreitet. Auch Glocken und anderen Reliquien wurden Heilkräfte und Wunderwirkungen zugeschrieben.8 Sie waren wichtige Zugpferde vieler Pilgerstätten und man kann sich leicht vorstellen, dass sie oftmals Anlass zur Plünderung von Klöstern gegeben haben – als Fortsetzung der Rivalitäten und Kämpfe, die schon immer zwischen den verschiedenen Klans herrschten.
Die Anfertigung gefälschter Reliquien war in diesen Zeiten ein lohnendes Geschäft. Es lässt sich an einer Hand abzählen, dass die souvenirhungrigen Pilger die Lehm- und Erdvorkommen der Stätten bald erschöpft hatten. Als Konsequenz errichtete man Barrikaden um viele Wallfahrtszentren, um die Menschen von ihnen fernzuhalten, und vielleicht lag die Eingangstür der Rundtürme so weit oben, um das massenhafte Eindringen von Pilgern und wunderdurstigen Besuchern zu unterbinden und ihnen die in den Türmen verwahrten Reliquien aus sicherer Entfernung präsentieren zu können.
O’Brien nahm an, dass einige Rundtürme mit der Verehrung heiliger Feuer in Verbindung standen. Er bemerkte, dass sich der heilige Beda Venerabilis in seinem Werk „Vita Sancti Cuthberti“ darüber beschwerte, in Irland würde es zahllose Feuerschalen aus heidnischer Zeit geben. Die Überreste niedriger, steinbedachter „Feuerhäuser“ – ähnlich den zoroastrischen Feuertempeln Persiens – stehen laut O’Brien in direkter Verbindung mit den Türmen von Ardmore, Killaloe, Down, Kerry und Kells.2 Der an die schottische Kathedrale von Brechin angrenzende Rundturm wird auch „Feuerturm“ genannt.11
Es ist gut möglich, dass der Feuertempel zu den ältesten Bauwerken in irischen Ringfort-Siedlungen zählt. Im Zentrum der Klosterruinen von Inishmurray steht ein etwa 1.000 Quadratmeter großes Trockensteincashel, das im Innern durch niedrige Mauern unterteilt ist. Zwei Kirchen aus Mörtel und Stein gehen auf die Jahre 700 bis 900 n. Chr. zurück, während die Außenwand wahrscheinlich aus der Eisenzeit stammt. In der westlichen Ecke des Cashels befinden sich zwei Gebäude: eine Kirche und ein „Haus des Feuers“, das laut Peter Harbison aus dem späten Mittelalter stammen könnte.
Insgesamt zwei Eingänge befinden sich auf je einer der beiden langen Seiten des rechteckigen Gebäudes, in dessen Mitte eine quadratische Feuerstelle angelegt ist. In der Nähe findet man die berühmten Fluchsteine, altertümliche Bienenkorbhütten (runde Gewölbebauten aus Trockenmauerwerk) und ein Schwitzhaus neben einem heiligen Brunnen.8
Bis annährend in unsere Zeit hinein wurde die Göttin Brigid – oft in Gestalt der heiligen Brigid – in ihrem Schrein in Kildare nahe des dortigen Rundturms verehrt. Das Betreten des Schreins war allein Frauen vorbehalten. Neunzehn „vestalische“ Jungfrauen unterhielten ein ewiges Feuer, das am 20. Tag des Feuerzyklus auf wundersame Weise angeblich von Brigid selbst bewacht wurde.
Ein Rundturm in Musk mit seinen im Spätmittelalter angebauten Glockentürmen
Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde der alten Göttin ein Lied gesungen: „Brigid, höchste Frau, jähe Flamme, möge die feurighelle Sonne uns in das ewigliche Königreich führen.“
Während ihrer Glanzzeit erfuhren die Türme eine ganze Palette von Ungerechtigkeiten, wie aus den Annalen hervorgeht. Grund dafür waren oftmals die Habgier benachbarter Könige und vereinzelte Überfälle der Wikinger. Der Unterschied zwischen einer irischen und einer Wikingerattacke bestand darin, dass die Wikinger keine Rücksicht auf die Heiligkeit der Stätten nahmen, wobei sich auch die Iren gelegentlich darüber hinwegsetzten. Die Wahrung der Kampfesregeln und der sozialen Ordnung in Irland ließ die Türme als Schutzstätten in Kriegszeiten erscheinen, doch die Realität sah oftmals erschreckend anders aus.
Als die Normannen gebeten wurden, Krieger nach Irland zu schicken, um einen Lokalherrscher dabei zu unterstützen, seine geraubte Frau zurückzuerobern, markierte das den Anfang vom Ende der organischen Gesellschaftsstruktur und Autonomie Irlands. Die streng geordnete Lebenswelt der Normannen, die sich in ihrer geradlinigen Architektur widerspiegelte, verdrängte den natürlichen, wellenförmigen modus operandi der einheimischen Iren und führte in eine gut 800-jährige Phase der britischen Unterdrückung. Die Ureinwohner Irlands wurden von ihren fruchtbaren Ländereien vertrieben und in mehr oder weniger unwirtlichen Regionen sich selbst überlassen. Fortan wurden keine Türme mehr errichtet.
In den 1840er Jahren starben etwa 800.000 Menschen infolge einer katastrophalen Kartoffelfäule, die viele Iren dazu veranlasste, nach Amerika und Australien auszuwandern. Die englischen Kolonisten leisteten keine nennenswerte Hilfe, während die Iren sich zu Tode hungerten. Die Bevölkerung der Grünen Insel sank von vormals etwa neun Millionen auf rund 6,5 Millionen im Jahr 1851 (und liegt heute noch niedriger). Erst im Jahr 1949 etablierte sich im Süden eine unabhängige Irische Republik.
Die Engländer unterdrückten die irische Sprache und enthielten der einheimischen Bevölkerung sogar grundlegende Bildungsmöglichkeiten vor, weshalb es wenig wundert, dass sie bald als dumm erachtet und zur Zielscheibe von irenfeindlichen Witzen wurde. Kev Livingston – ein scharfer Gegner der Politik Margaret Thatchers – gewann in den 1970er Jahren bei den Wahlen zum Greater London Council genügend Einfluss auf die lokale Politik, um als erste Amtshandlung ein stadtweites Verbot von Irenwitzen durchzusetzen.
Die Briten wiederholten ihren kulturellen Genozid in Australien und rechtfertigten ihre Invasion (die ihre eigenen Gesetze missachtete) mit der Behauptung, die australischen Ureinwohner seien eine minderwertige Rasse, die ohnehin zum Aussterben verdammt sei – eine Prophezeiung, die erst durch den britischen Völkermord bittere Wirklichkeit wurde.
Im 18. Jahrhundert erstarkte der Nationalismus in Irland, und das Volk romantisierte die typisch irischen Türme als die Quintessenz ihrer Kultur. Da sie neben den Irischen Wolfshunden als Nationalsymbole angesehen wurden, begann man damit, überall auf der Insel neue Türme im selben Stil zu errichten. Bis zum 19. Jahrhundert nahm die Kirche viele der alten Türme wieder in Betrieb, baute sie wieder auf oder „restaurierte“ sie, allerdings nicht immer entsprechend ihres ursprünglichen Aussehens.
Sie wurden mit Böden und Leitern ausgestattet und ihre Spitzen wurden so umgestaltet, dass sie als ordentliche Kirchtürme genutzt werden konnten. Viele der Turmhauben waren bereits infolge von Blitzeinschlägen zerstört worden, weshalb wir uns ihrer eigentlichen Form wohl nie gänzlich versichern können. Überhaupt stellte Blitzschlag schon immer die größte Gefahr für die Türme dar, da sie meist über unterirdischen Quellen errichtet wurden, was stark anziehend auf Blitze wirkt.
Zu den Verschönerungsmaßnahmen des 19. Jahrhunderts zählte auch die segensreiche Installation von Blitzableitern. Die Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1871 beschied das Ende der klerikalen Nutzung der Türme.7
Einige seiner Vorstellungen über die Türme hat Callahan aus Barrows Buch übernommen, das laut Lalor keine verlässliche Quelle darstellt. Barrow hatte etwa behauptet, der Raum zwischen Parterre und Keller der Türme sei mit Erdhaufen aufgefüllt worden. Callahan wiederum schloss daraus, die Mönche hätten damit die „steinernen Antennen“ auf bestimmte kosmische Hochfrequenzen eingestellt.
Ich habe in keinem Turm Irlands Belege dafür entdecken können, und die architektonischen Überlegungen in Lalors Buch lassen eher auf das Gegenteil schließen: Tatsächlich sind leere Kellergeschosse die Regel – eines weist sogar ein Fenster auf – und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Schatzsucher die Keller vor langer Zeit ausgeschachtet haben könnten.
In seinem Buch „Geheimnisse der guten Erde“ beginnt Callahan das Kapitel über seine Erforschung der Türme mit der Aussage, die Fenster der alten Türme seien so ausgerichtet, dass die Schatten im Turm Aufschluss über die Jahreszeiten geben würden. Nach meinen Erkenntnissen gibt es dafür keine Anhaltspunkte, da die Anordnung der Fenster von Turm zu Turm variiert.
Es gibt weiterhin keine Belege für ein besonders gutes Pflanzenwachstum in der Nähe der Türme, wie Callahan es postuliert hat. Die Türme stehen heute meist auf Friedhöfen, nicht auf Feldern; einige Gräber liegen unmittelbar neben ihnen. Laut Lalor gibt es Hinweise darauf, dass es bereits vor dem Bau der Türme Grabstätten an den entsprechenden Stellen gegeben hat. Fotos von Türmen, die ich nicht persönlich besichtigen konnte, lassen meist eine öde und karge Umgebung erkennen. Zudem ist es sehr unwahrscheinlich, dass innerhalb des Klostergeländes Landbau betrieben wurde. Traditionell wurden die Lebensmittel für ein Kloster auf einem nahegelegenen Gutshof angebaut und nicht auf dem geweihten Kirchengrund.
Es gibt also keine stichhaltigen Beweise für Callahans Schlussfolgerung, die Türme seien errichtet worden, um das Wachstum von Feldpflanzen zu verbessern. Vieles, was über die Türme erzählt und geschrieben wurde, ist sicher übertrieben. Dennoch weisen sowohl alte wie auch neue Türme energetische Effekte auf, die wir in unseren eigenen Gärten reproduzieren können – mehr über die „Krafttürme“ genannten Miniaturmodelle erfahren Sie im zweiten Teil dieses Artikels.
Es ist durchaus möglich, dass die Türme als Glockentürme dienten, doch andererseits kamen die irischen Handglocken genau zu der Zeit aus der Mode, als der Turmbau zu florieren begann. Wahrscheinlich dienten sie also in erster Linie als klösterliche Schatzkammern.
Ich kann keinen Anhaltspunkt dafür finden, dass Klöster Rundtürme als „steinzeitliche Radioempfänger“ anlegten, wie Callahan annimmt. Nichtsdestoweniger ist es verblüffend, dass ihre Standorte einen „irdischen Tierkreis“ beschreiben. In meinen Augen ist das aber vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Türme auf dem Gelände alter, vorchristlicher Bildungszentren erbaut wurden, die ein immenses astronomisches Wissen beherbergten.
Diese wichtigen Bildungszentren waren Urformen unserer Universitäten, von denen zahlreiche kulturelle und intellektuelle Errungenschaften ausgingen. Die Astronomie war auch in den Druidenschulen ein zentrales Element auf dem Lehrplan und fand daher sicherlich ihren Weg in das kulturelle Erbe nachfolgender Generationen. Den Druiden galten die vier Jahreszeiten als heilig, was eine Rolle in der Entscheidung über die Ausrichtung der Türen und Fenster der Türme gespielt haben muss. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die nachklingenden Überlieferungen auch die sorgsame geomantische Platzierung der Türme diktiert haben, oder dass die Menschen instinktiv oder intuitiv hochenergetische Punkte als Baustätten auswählten, weil sie wussten, dass der Standort zur Heiligkeit der Türme beitragen würde.
Es ist gut möglich, dass sich die von Callahan entdeckten Turmenergien in erster Linie stimulierend auf die geistige Aktivität auswirken und die Kreativität steigern. Sie könnten psycho-spirituelle Erfahrungen begünstigt haben, wie es auch jene Erdenergien tun, die gewöhnlich mit Kirchen in Verbindung gebracht werden.
Ich meine, dass sich einige der Geheimnisse um die Rundtürme auf ganz profane Weise vernünftig erklären lassen. Ihre machtvollen Energien, die ich in einem anderen Kapitel meines Buchs genauer beschreibe, können eher als unbeabsichtigtes Artefakt verstanden werden, das durch die Kombination aus ihrer Form, ihrem Material und den energetischen Mustern ihres Standorts bedingt ist, wobei sich letztgenannte wahrscheinlich über die Jahrhunderte entwickelt haben (wie es bei allen heiligen Stätten der Fall ist).
Fortsetzung im nächsten Heft.
Der vorliegende Artikel basiert auf einem Auszug aus Alanna Moores Buch „Stone Age Farming“, das demnächst in deutscher Übersetzung im Mobiwell-Verlag erscheinen wird. Im Buch beleuchtet die Autorin zahlreiche esoterische Land- und Gartenbautechniken: von der Anwendung paramagnetischer Gesteinsmehle über radionische Hilfsmittel bis hin zu den Effekten von kleinen Krafttürmen nach Vorbild der irischen Rundtürme, um die es im zweiten Teil dieses Artikels gehen wird.