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Die Entdeckung europider Mumien, die in den frühen 1990er Jahren im Tarimbecken im Autonomen Gebiet Xinjiang in der Volksrepublik China ausgegraben wurden, zwingt Archäologen, die Geschichte der Völkerwanderungen zwischen West und Ost neu zu schreiben. Gentests scheinen zu bestätigen, dass die ursprünglich in dieser Region lebenden Menschen keine asiatischen Wurzeln hatten.
In den frühen 1990er Jahren wurden bis dahin gehegte Annahmen über den Ursprung der asiatischen Kultur nachhaltig erschüttert. Bereits 1974 legten Archäologen das riesige Grab des ersten chinesischen Kaisers frei und fanden eine komplette Armee aus Terrakottasoldaten mit individuellen Gesichtszügen und Ornamenten, die in Reih und Glied standen, als sollten sie dem Kaiser im Jenseits dienen. Während die Terrakottakrieger mehr oder weniger die Theorien der Chinesen über ihre eigene Herkunft bestätigten, hat sich eine andere Entdeckung vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die beinahe 100 Jahre später wiederentdeckt wurde, als fatal für das chinesische Weltbild erwiesen.
1988 stolperte Professor Victor H. Mair von der Pennsylvania University in einem Raum des Museums der Provinz Ürümqi im chinesischen Xinjiang über eine der größten archäologischen Entdeckungen aller Zeiten: europide Mumien. Diese Mumien waren im Wüstensand des Tarimbeckens im heutigen Xinjiang gefunden worden und unterschieden sich so sehr von der Normalbevölkerung Ostasiens, dass sie vielleicht ein Indiz für eine von westlichen Besuchern entscheidend beeinflusste Geschichte darstellen. Die menschlichen Überreste sind als „die hellhäutigen Mumien aus China“ (oder auch „Tarim-Mumien“) bekannt. Diesen Namen gab man ihnen wegen ihres rötlich-blonden Haars, der nordischen Gesichtszüge und der Kleidung im europäischen Stil.
Die chinesischen Mumien stellen ein ziemliches Problem für all jene dar, die davon ausgehen, dass die Chinesen stets unter sich geblieben sind und eine zu allen Zeiten einheitliche asiatische Volksgruppe gebildet haben. Die Entdeckung der hellhäutigen Mumien zwingt uns zu einer Neudefinition des Begriffs „asiatisch“ – und was genau mit diesem Begriff gemeint ist. Klar ist jedenfalls, dass „asiatisch“ heute eine deutlich vielfältigere Bevölkerung bezeichnet als je zuvor.
Im Jahr 2000 brachte die Zeitschrift Molecular Biology and Evolution einen faszinierenden Enthüllungsartikel: Die Autoren schrieben, dass die ursprüngliche Bevölkerung Chinas
„eine größere genetische Ähnlichkeit mit den heutigen Europäern aufweist als mit der derzeitigen Bevölkerung Ostasiens“.1
Die Genforscher enthüllten weiterhin, dass die chinesische Bevölkerung in den vergangenen 2.500 Jahren eine enorme biologische Wandlung erfahren hat. Vor diesem großen Wandel trat aber noch eine weitere gravierende Veränderung im chinesischen Volk auf. Vergleicht man die heutigen Chinesen mit jenen von vor 9.000 Jahren, so wird man drastische Unterschiede feststellen. In dem Maße, wie der asiatische Bevölkerungsanteil wuchs, verdrängte er die ursprüngliche, hellhäutige chinesische Bevölkerung. Letztgenannte wurde dadurch quer über den Kontinent nach Russland und Europa getrieben.
In den späten 1980er Jahren gruben chinesische Archäologen hunderte europide Mumien entlang der westlichen Grenze Chinas aus. Viele davon sind mehr als 7.000 Jahre alt und erzählen von einer Zeit, in der die Vorgänger der Arier aus dem alten Europa den Westen beherrschten. Später wurde mittels Radiokarbonmethode das exakte Alter der chinesischen Mumien bestimmt: Die Messung datierte sie auf etwa 3.500 Jahre vor dem Beginn der chinesischen Han-Kultur. Höchstwahrscheinlich gibt es Verbindungen zwischen den Mumien und jenen europiden Menschen des indeoeuropäischen Sprachkreises, die als Tocharer bekannt sind.2 Die prähistorischen menschlichen Überreste aus China waren im Rest der Welt weitgehend unbekannt, bis ein Sicherheitsleck dies im Jahr 1994 änderte.
Obwohl diese Entdeckung offiziell erst im späten 20. Jahrhundert ans Licht kam, wurden schon von den Gelehrten der Antike Steppenvölker mit gelben Bärten besprochen und näher erörtert; sogar in antiken römischen Quellen sind sie schriftlich erwähnt. Plinius der Ältere berichtet von einer ungewöhnlichen Beschreibung der „Seres“ (aus dem Gebiet des nordwestlichen China), die Gesandte aus Ceylon Kaiser Claudius geliefert hatten. In den Erzählungen der Diplomaten ging es um Menschen, welche
„die normale menschliche Körpergröße überschritten, flachsfarbenes Haar sowie blaue Augen hatten und mit ihrer Art zu sprechen grobe Geräusche von sich gaben“.35
Diese Beschreibung impliziert, dass die Gesandten von der antiken, hellhäutigen Bevölkerung des Tarimbeckens gesprochen haben.
Vom Beginn des 20. Jahrhunderts an waren europäische Forschungsreisende in der westlichen Grenzregion Chinas tätig. Sie berichteten über zahlreiche Funde vorzeitlicher Mumien mit europiden Gesichtszügen, die sie überall im Tarimbecken ausgegraben hatten. Einer dieser kühne Forscher war Sven Hedin, ein moderner schwedischer Entdecker. Mit seiner beherzten, unerschöpflichen Energie und Reiselust war er den Expeditionsleitern seiner nordischen Vorfahren sehr ähnlich. Zu den bedeutenden historischen Persönlichkeiten, die seine Arbeit lobend erwähnten, gehörten Theodore Roosevelt, Paul von Hindenburg und auch Adolf Hitler (in den Jahren 1936, 1939 beziehungsweise 1940). Andere erwähnenswerte Forscher, die den Weg zur letztendlichen Entdeckung ebneten, waren beispielsweise der deutsche Archäologe und Ethnologe Albert von Le Coq und der ungarisch-britische Archäologe Sir Marc Aurel Stein, der 1910 eines der ersten bekannten Fotos einer Tarim-Mumie machte. Doch weder Hedin noch Stein begriffen die enorme historische und entwicklungsgeschichtliche Bedeutung ihrer Funde.
Ein weiterer berühmter Forscher des beginnenden 20. Jahrhunderts war Folke Bergman, ein Landsmann von Sven Hedin. Er trug wesentlich zu unseren frühesten Erkenntnissen über das Tarimbecken bei. Bergman erstellte eine der ersten Beschreibungen der Wüste Lop Nor und beschrieb die vielen von ihm besuchten Gräber. Er ist und bleibt eine Schlüsselfigur bei der Aufgabe, die Bedeutung des Tarimbeckens für die Menschheitsgeschichte zu verstehen. In seinem Expeditionsbericht über die Jahre 1927 bis 1935 schreibt er:
„[…] Wenn man sich dem Hügel nähert, scheint die gesamte Kuppe mit einem Wald aus aufrecht stehenden Toghrak-Stämmen bedeckt zu sein. Doch diese stehen zu eng zusammen, um abgestorbene Bäume zu sein. Tatsächlich handelt es sich um senkrechte Pfähle, deren Spitzen von den starken Winden zersplittert wurden. […]
Auf der Oberfläche des Hügels, vor allem an den Hängen, befand sich eine Menge seltsam anmutender gebogener massiver Bretter. Man stolperte überall über verwitterte menschliche Knochen, zerfallene Skelette, Überreste vergessener Mumien und Fetzen dicken, wollenen Materials. […] Einige der Mumien hatten langes, dunkles Haar und sehr gut erhaltene Gesichter. Bei anderen grinste einen ein gespenstisch aussehender Schädel aus nur teilweise erhaltener, schwarz angelaufener Haut an.“3
Über eine weibliche Mumie, deren Gesicht „außerordentlich gut erhalten war, obwohl der Körper bereits sehr vermodert war“, schreibt er:
„[…] Auf ihrem fließenden, in der Mitte gescheitelten dunkelbraunen Haar trug sie einen Kopfschmuck aus gelbem Filz, verziert mit Hermelinfell und roten Bändern, die ihn auf dem Haupt fixierten. Sie hatte eine hohe, noble Stirn, eine feine Adlernase und dünne Lippen, die leicht geöffnet waren und ihre Zähne in einem stillen, zeitlosen Lächeln durchschimmern ließen.“4
Den vollständigen Artikel finden Sie in Ausgabe 62.