NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/die-ketogene-diaet-ein-kritischer-blick
Es kursieren unzählige Ernährungsvorschriften, um Krebs und anderen Zivilisationskrankheiten entgegenzuwirken. Als neuester Trend wird die ketogene Diät gehandelt, die auf einem kohlenhydratarmen, fettreichen Speiseplan basiert. So neu ist ihr Konzept allerdings gar nicht, und beim genauen Hinsehen offenbart auch die ketogene Kost ihre Tücken. Eine Bestandsaufnahme.
In den letzten Monaten haben viele Leute – Patienten, Freunde, Kollegen, Fremde – mein Büro kontaktiert und gefragt, was ich von der „ketogenen Diät“ gegen Krebs halte, die von Dr. Thomas Seyfried propagiert wird. Diese Therapie scheint momentan sowohl in der alternativen als auch in der konventionellen Medizin für Aufregung zu sorgen. Viele haben um eine ausführliche Antwort gebeten, da Dr. Seyfrieds These unserem Ansatz, mit dem wir Patienten seit 26 Jahren behandeln, völlig zuwiderläuft. Nachdem ich das Thema gründlich studiert hatte, entschloss ich mich, einen ausführlichen Bericht darüber zu publizieren.
Einleitend möchte ich aufzeigen, dass die Welt der Krebsforschung und -medizin durchsät ist mit verworfenen Theorien und obsoleten Therapien – die alle irgendwann einmal als das nächste vielversprechende Wunder und als endgültige Antwort auf diese verwirrende und tödliche Krankheit galten. In meinem eigenen Berufsleben habe ich eine ganze Anzahl von „Krebswundern“ kommen und gehen sehen, manchmal in stürmischer Folge und zuweilen begleitet von überbordender Hysterie in den Medien. Zu einem der ersten „Wunder“, an das ich mich erinnern kann, kam es 1980, als ich Medizinstudent im ersten Jahr in Cornell war. Damals war es laut Presse und Fachzeitschriften das magische Interferon, ein Immunstimulans, das Krebs in die Knie zwingen sollte. Es dauerte nicht lange, bis sich Interferon als Reinfall herausstellte, seine Verheißung und sein Ruhm stiegen und fielen wie ein Wagen in der Achterbahn.
Nur fünf Jahre später erlebte ich eine noch außergewöhnlichere Situation. Ich hatte zu dieser Zeit meine Medizin-Grundausbildung abgeschlossen und lebte in Florida, wo ich mein Stipendium in Immunologie abschloss – unter Dr. med. Robert A. Good, der auch als „Vater der modernen Immunologie“ bezeichnet wurde.
Das Jahr 1985 neigte sich gerade dem Ende zu, als die Presse die Geschichte über das nächste Krebswunder aufgriff. Ich saß in meiner Wohnung mit Blick auf die schöne Tampa Bay, als ich die Titelseiten der entsprechenden Zeitungen las. Dr. Steven Rosenberg war bereits damals weithin als Chirurg von Ronald Reagan bekannt – der Präsident hatte einen bösartigen Polypen – und darüber hinaus ein renommierter Grundlagenforscher. Er leitete eine Abteilung im National Cancer Institute (NCI, nationales Krebs-Institut) in Bethesda, Maryland. In einer Pressekonferenz hatte er der Welt gerade die Resultate seiner Pilotstudie mit einem neuen Immunmodulator namens Interleukin-2 vorgestellt – und die Ergebnisse lösten einen unglaublichen Medienrummel aus.
Die anfänglichen, mit Inbrunst verkündeten Äußerungen ließen vermuten, dass wir – ja, tatsächlich, nach so vielen Enttäuschungen – endlich eine echte, universelle Krebstherapie in Aussicht hatten. Sowohl im Labor als auch in den ersten Vorstudien am Menschen hatte Interleukin-2 eine fast schon magisch zu nennende Wirkung auf selbst die aggressivsten Krebsformen, wie metastatische Melanome und metastatischen Nierenkrebs – wie zuvor Interferon, eine natürliche Substanz, die von Lymphozyten abgesondert wird und andere krebsbekämpfende Immunzellen anregt.
Dr. Rosenbergs „Wunder“ war allgegenwärtig, in den Printmedien, den lokalen und nationalen Nachrichten und in einem ausführlichenNewsweek-Artikel, der am 16. Dezember 1985 erschien. Auf dem Cover prangte ein weiß-bekittelter Dr. Rosenberg, der konzentriert in die Welt blickte. Der Artikel selbst war in großen, fetten Lettern mit „Suche nach einer Heilung“ betitelt und umfasste sechs Seiten. Dazu gab es Fotos von Dr. Rosenberg, eines mit einem Patienten, und ein anderes, das ihn als ernsten Wissenschaftler im Labor zeigte. Aufwändige Farbgrafiken veranschaulichten den Text, stellten die komplizierten Mechanismen des Immunsystems dar und präzisierten die Funktion des Interleukin-2, das durch die leitende Hand von Dr. Rosenberg die bösartige Krankheit bekämpfen konnte. Ein separater Abschnitt trug die Überschrift „Der Aufstieg eines Superstars – vom Reagan-Chirurg zum Spitzenforscher“ und erzählte die beeindruckende Lebensgeschichte von Dr. Rosenberg.Eine bessere Werbung konnte man für Geldnicht kaufen.
Am Ende des Artikels fügten die Verfasser noch einen kurzen Abschnitt mit dem Titel „Interferon: ein warnendes Beispiel“ an, der die Leser an die Aufregung über jenen anderen Immunmodulator gemahnte, der schon vor fünf Jahren die gesamte Welt der Krebsforschung in Aufregung versetzt hatte. Dieser Essay, der auf den enthusiastischen Hauptartikel folgte, begann so:
„Für einige Ohren hat die Aufregung über Interleukin-2 in der letzten Woche einen vertrauten, jedoch misstönenden Beiklang. Etwas Ähnliches geschah vor ungefähr fünf Jahren mit einer Substanz namens ‚Interferon‘, die auf Titelseiten und in Artikeln unter Überschriften wie ‚Um Ihr Leben zu retten – und das Ihrer Angehörigen‘ als ‚Wunderwaffe‘ der Krebsforschung gepriesen worden war […] aber im Jahr 1984 hatte sich die Wunderwaffe als Fehlzündung entpuppt; jetzt trugen die Artikel Überschriften wie ‚Mythos Interferon‘.“
Über die Jahre war ich mit der Interferongeschichte bestens vertraut geworden, da mein Chef, Dr. Good, einen Großteil der Pilotforschung geleistet hatte, die Interferon mit einem möglichen Antikrebseffekt verband.
Zu jener Zeit kannte ich Dr. Good schon recht gut: Während des zweiten Jahrs meiner medizinischen Ausbildung hatte Dr. Good, damals Professor in Cornell und Direktor des Sloan-Kettering-Instituts, mich als wissenschaftliches Küken unter seine Fittiche genommen. 1982 allerdings, in meinem dritten Jahr an der medizinischen Hochschule, beschloss die Führung des Instituts zu meinem Entsetzen, ihn ohne viel Federlesens vor die Tür zu setzen. Danach verbrachte er einige Zeit an der Universität von Oklahoma, wo er eingestellt wurde, um eine Krebsforschungsabteilung aufzubauen. Später wechselte er ans All Children’s Hospital in St. Petersburg, wo er wiederum eine Krebs-Forschungsstation für Knochenmark-Transplantationen ins Leben rief.
Als die Nachrichten über Interleukin-2 zum ersten Mal Schlagzeilen machten, besprach ich dieses neue „Wunder“ mit Dr. Good, der durch seine jahrelange Berufserfahrung und zahlreiche ähnliche Ankündigungen, auf die regelmäßig Ernüchterung in der Forschergemeinde gefolgt war, recht vorsichtig geworden war.„Schauen Sie sich die Daten an, immer nur die Daten,“sagte er, „und nicht die Medienberichte.“ Ich folgte seinem Rat, stöberte die ursprünglichen klinischen Daten auf, studierte diese – und war überrascht, wie unbeeindruckend sie waren. Wenn ich mich recht entsinne, hatten in den ersten unkontrollierten Studien von mehr als 100 teilnehmenden Patienten nur drei irgendeine signifikante oder dauerhafte Reaktion erlebt.
In den folgenden Monaten machten dann in der Forschungsgemeinschaft auch noch Berichte über die enorme Toxizität und sogar Todesfälle die Runde, was weiter dazu beitrug, die anfängliche Euphorie zu dämpfen. Und im Vergleich zu anderen Wundern war es nicht gerade billig: Die hochgiftige Droge war derart gefährlich, dass sie nur unter strenger Aufsicht in einem Krankenhaus verabreicht werden konnte, und die Kosten dafür beliefen sich auf $ 100.000 für einen Behandlungszyklus von einer Woche.
Trotz der frühen Warnzeichen setzten die Medien ihre Kampagne für Interleukin-2 mehrere Jahre lang fort. Im Jahr 1992, möglicherweise eher aufgrund politischen Drucks als aufgrund der wissenschaftlichen Beweislage, genehmigte die FDA die Droge für die Anwendung gegen Krebs, trotz der fehlenden kontrollierten Versuchsreihen. Schließlich zeigte Ende 1998 eine klinische Studie – die etwa 13 Jahre nach den ursprünglichen Berichten abgeschlossen wurde –, dass Interleukin-2, zumindest bei fortgeschrittenem Nierenkrebs, nicht besser wirkte als ein Placebo. Es wird noch eingesetzt, aber immer seltener, und ich kenne niemanden, der darüber mit großer Begeisterung spricht.
Anfang der 1990er, als Onkologen sich gerade von Interleukin-2 verabschiedeten, gerieten Knochenmark-Transplantationen als Lösung für Krebs mit schlechter Prognose und für metastasierenden Brustkrebs in die Schlagzeilen. Sie wurden als Heilmethode für diese hässliche Krankheit angepriesen, die so viele Frauen in der Mitte ihres Lebens traf. Trotz kompletten Mangels an überzeugenden Beweisen für diese Indikation wurden Knochenmark-Transplantationen als Lösung für die tödlichsten Brustkrebsarten hochgejubelt. Zuerst lehnten Versicherungsgesellschaften jedoch ab, für diese ungeprüfte und äußerst kostspielige Behandlung zu zahlen, die in jenen Tagen bis zu $ 500.000 und mehr kosten konnte.
Begeisterte Onkologen taten sich dennoch mit den Medien zusammen und bezeichneten Versicherungsgesellschaften als herzlose, gierige Tyrannen, die Frauen mit Brustkrebs die heilende Behandlung vorenthielten. Nicht lange danach schalteten sich die Strafverteidiger ein und inszenierten im Namen der Frauen, die eine Knochenmark-Transplantation wünschten, eine Reihe von gerichtlichen Klagen gegen verschiedene Versicherungsgesellschaften. In einem bemerkenswerten und bezeichnenden Fall musste sich der Versicherer HealthNet gegenüber einer Frau namens Nelene Fox verantworten, bei der Brustkrebs diagnostiziert worden war und deren Versicherung sich geweigert hatte, die Behandlungskosten zu übernehmen. Die Jury sprach der Zivilklägerin 89 Millionen Dollar zu, einschließlich 77 Millionen an Strafschadensersatz. Unter diesem Druck gab die Versicherungsbranche nach: Es war preiswerter, die $ 100.000, 200.000 oder 500.000 pro Behandlung zu zahlen, statt einen solch massiven finanziellen Schaden zu riskieren.
Nachdem sich etwa 40.000 Frauen dem Verfahren unterzogen hatten – in dieser Zeit starben zehn bis 30 Prozent der Patientinnen allein an den Folgen der Behandlung –, wurde schließlich nachgewiesen, dass es wirkungslos ist. Eine herausragend positive Studie von 1995, die berüchtigte Südafrikastudie von Dr. Bezwoda, stellte sich bei genauerer Prüfung als kompletter Betrug heraus. Der kreative Forscher hatte die Daten einfach erfunden. Falls es Sie interessiert: Im ausgezeichneten und gleichzeitig beängstigenden Buch „False Hope“ (Oxford University Press, 2007) wird das Fiasko um die Knochenmarksverpflanzung bei Brustkrebs ausführlich beschrieben.
Als diese Schlachten in den frühen 1990er Jahren geschlagen wurden, hatte ich die Gruppe von Dr. Good schon lange verlassen und war nach New York in meine private Praxis zurückgekehrt. Dennoch hatte diese Geschichte für mich einen persönlichen Beigeschmack, da Dr. Good 1969 die erste Knochenmark-Transplantation der Geschichte durchgeführt und damals auch gehofft hatte, diese Methode könnte sich als eine Antwort auf Krebs erweisen. Unter seiner Anleitung lernte ich während meines Stipendiums, wie diese sehr komplizierte und oft tödliche Prozedur durchgeführt wird.
Doch nur keine Sorge: Immer wartet hinter der nächsten Ecke ein neues Wunder. Im Jahr 1998 jubelten die Presse- und Fernsehreporter wieder einmal über die neueste „endgültige“ Lösung für Krebs. Vom Rummel um Interferon, Interleukin-2 und Knochenmark-Transplantationen hatten sie sich inzwischen allesamt klammheimlich verabschiedet. Stattdessen galt ihre Aufmerksamkeit nun der Anti-Angiogenese, die auf der bahnbrechenden Arbeit des inzwischen verstorbenen Dr. Judah Folkman aus Harvard basierte.
Dr. Folkman hatte den Prozess der Angiogenese in Krebsgeweben jahrzehntelang studiert: die Bildung neuer Blutgefäße, durch welche die Tumoren schnell anwachsen und normale Gewebe und Organe mit tödlicher Wirkung befallen können. Ohne ausreichende Blutversorgung können Krebstumoren nicht über einen Kubikzentimeter Größe hinauswachsen. Er hatte zwei Medikamente entwickelt, Angiostatin und Endostatin, die in Tierexperimenten Tumoren schrumpfen ließen, indem sie die Bildung neuer Blutgefäße blockierten und damit die Krebszellen aushungerten. Im November 1998 präsentierte Dr. Folkman seine Arbeit bei den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, und verkündete der Welt, dass zumindest bei Mäusen „kein Tumor gefunden wurde, der nicht zurückgebildet werden konnte.“
Zwar basierte Dr. Folkmans Forschung vollständig auf Laborexperimenten und Untersuchungen an Tieren, doch die mächtige Publicity-Maschinerie des Nationalen Krebsinstituts NCI nahm sich der Sache an. Wieder roch es verdächtig nach „Wunder“ – trotz jeglichen Mangels an Beweisen, dass Folkmans Anti-Angiogenese-Mittel überhaupt gegen menschlichen Krebs wirksam war. Aber da das NCI und die NIH mit an Bord waren, befanden sich bald sämtliche Medien, ob groß oder klein, lokal oder national, erneut in einem Rauschzustand.
Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich zu dieser Zeit in meinem Büro im Zentrum von Manhattan saß und den berühmten Leitartikel derNew York Timesvom 3. Mai 1998 las (der obere linke Bereich der Titelseite ist reserviert für Kriege, Revolutionen und, ja: Wunder). Darin präsentierte die Reporterin Gina Kolata Folkmans vorläufige Ergebnisse der Welt. Sie beschrieb die Anti-Angiogenese in einem Tonfall, den der eher skeptische Journalist Jack Breibart als „atemlos“ bezeichnete.
Kolata zitierte keine geringere Autorität als Dr. James Watson, dem 1962 zusammen mit seinem Kollegen Francis Crick für die Entdeckung der DNS-Struktur der Nobelpreis verliehen worden war. „In zwei Jahren wird Judah Krebs heilen“, sagte Watson zu Kolata. Eine bessere Quelle und einen endgültigeren Ausspruch hätte man nicht finden können.
Weiter hieß es in Kolatas haltlosem Bericht:
„Dr. Watson sagte, man würde sich später an Dr. Folkman wie an einen Wissenschaftler vom Format eines Charles Darwin erinnern, als jemanden, der die Zivilisation grundlegend verändert hat.“
Die Verfasserin zitierte auch einen enthusiastischen Richard Klausner, MD, damals Direktor des NCI, der der Welt versicherte: „Nichts hat für mich höhere Priorität, als dies mit klinischen Studien belegen zu lassen.“
Es folgten glamouröse Fernsehberichte über das Thema, einschließlich einer denkwürdigen ABC-Sendung zur besten Sendezeit, die vom inzwischen verstorbenen Peter Jennings moderiert wurde. Themenberichte anderer Fernsehanstalten folgten stehenden Fußes. Nicht allzulang darauf jedoch sprach es sich herum, dassTimes-Reporterin Kolata ihren Agenten Verlage abklappern hatte lassen, um eine Buchidee über das Thema Anti-Angiogenese und Krebs zu verkaufen. Ihr Agent hatte laut damaligen Berichten schon am Tag nach der Times-Geschichte damit begonnen, ein Exposé herumzureichen und hatte einen Vorschuss von zwei Millionen Dollar gefordert. Die ganze Episode sorgte für einiges Stirnrunzeln, da eine Journalistin persönlichen Nutzen aus einem Thema zu ziehen versuchte, das sie in der Nachrichten-Sektion der Times propagiert hatte. Nach reichlicher Kritik zog Kolata ihren Buchvorschlag zurück.
Wie Dr. Klausner versprochen hatte, beförderte das NCI eine einleitende Endostatin-Studie an menschlichen Patienten „auf die Überholspur“, vermutlich im Zuge der nationalen und internationalen Hoffnungs- und Begeisterungsexplosion. Das Institut beabsichtigte, sehr schnell 70 Probanden für die Studie zu rekrutieren. Was mich aber überraschte – und was auch andere meiner Kollegen in der medizinischen Gemeinschaft zu beunruhigen begann –, war das eisige Schweigen über die Resultate dieser Studie. Es machte den Eindruck, als wolle man die tatsächlichen Daten unter den Tisch kehren. Letztlich wurden die Studienergebnisse dann veröffentlicht, und es zeigte sich, dass am Ende 42, nicht die geplanten 70 Probanden für den Versuch rekrutiert worden waren, und dass nicht ein einziger von ihnen auf das Medikament angesprochen hatte. Ironischerweise verstarb Jennings, der die Therapie mit ungebremster Begeisterung angepriesen hatte, selbst an Lungenkrebs, nur wenige Monate nach der Diagnose im Jahr 2005. Auch Folkman ist inzwischen verstorben, ohne seine Hoffnung einer krebsfreien Welt dank Anti-Angiogenese verwirklicht zu sehen.
Dennoch bleibt die Anti-Angiogenese als Antwort auf Krebs bis heute eine große Triebkraft für „Biotech“-Firmen, die eine ganze Palette von Angiostatin- und Endostatin-Derivaten entwickelt haben. Dazu zählt auch das Mittel Avastin, das bis zu $ 10.000 pro Monat kostet, obwohl es keine besonders gute Wirkung zeigt: Die klinischen Studien sind wenig eindrucksvoll und berichten üblicherweise von einigen Monaten Lebensverlängerung bei Patienten mit diversen fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Nachdem das Medikament für die Behandlung von Brustkrebs bei Frauen genehmigt worden war, kam es zu einer weiteren ironischen Wendung: Die FDA widerriefim Dezember 2010 ihre Bewilligung von Avastinfür diese Anwendung, da klinische Versuche keinen signifikanten Nutzen hatten zeigen können.
Die Liebesaffäre mit der Anti-Angiogenese betraf nicht nur konventionelle Forscher und Onkologen, sondern reichte bis tief in die „alternative“ Krebswelt. Ende der 1990er las ich zahlreiche Artikel, die den anti-angiogenen Effekt verschiedener Kräuter lobten. Ungefähr zu dieser Zeit hatte eine Anzahl von alternativen Ärzten begonnen, Artemesinin, eine Heilpflanze aus Afrika, die seit Langem gegen Malaria eingesetzt wird, als „natürliche“ anti-angiogene Nahrungsergänzung zu bewerben. Doch zehn Jahre nach dem anfänglichen Anflug von Begeisterung wird die Pflanze nur noch von wenigen meiner Kollegen erwähnt.
So läuft der Hase. Wir als Kultur, als Nation, als Welt suchen stets nach neuen Wundern aus den Händen unserer wissenschaftlichen und medizinischen Gurus – Wunder, die endlich den Krebs in die Knie zwingen können. Und diese pflückreifen Wunder wird es immer geben.
Der neueste theoretische Durchbruch, der anscheinend die alternative Welt gepackt hat, noch bevor er in den wissenschaftlichen Mainstream Einzug hielt, ist die „ketogene Diät“. 2012 veröffentlichte der Grundlagenforscher Dr. Thomas Seyfried das Buch „Cancer as a Metabolic Disease“ (Wiley, 2012) und verkündete der Welt, dass eine fettreiche, kohlenhydratlose, ketogene Diät die Lösung zur Prävention von Krebs und zu dessen Behandlung darstellt. Seine Monographie wurde mit viel Applaus aufgenommen, wenngleich das Lob nicht das Niveau der Interleukin-2-Hysterie von 1985 erreichte.
Dr. Seyfried, den ich persönlich nicht kenne, ist wohl kaum als „alternativer“ medizinischer Wissenschaftler zu bezeichnen, denn nach seinem Werdegang auf der Rückseite des Buchs zu urteilen, scheint er eine konventionelle akademische Laufbahn absolviert zu haben:
„Thomas N. Seyfried, Phd., hat mehr als 25 Jahre an der Yale-Universität und am Boston College in den Bereichen Neurogenetik, Neurochemie und Krebs gelehrt und geforscht. Er hat mehr als 150 wissenschaftliche Artikel und Buchkapitelveröffentlicht […].“
Zweifellos hat Dr. Seyfried ein eindrucksvolles Werk verfasst, in dem er detailliert seine Überzeugung darlegt, dass Krebs nicht – wie allgemein angenommen wird – aus Genveränderungen resultiert, sondern auf Veränderungen in der grundlegenden Zellphysiologie, insbesondere in der Energieproduktion, zurückgeht, die dann zu ausgebildetem Krebs führen. Kurz: Die Gene bleiben intakt, aber der Metabolismus läuft aus dem Ruder.
Das Buch fasst zuerst die Konzepte des großen deutschen Wissenschaftlers Dr. med. Otto Warburg zusammen und baut dann auf diesen auf. Dr. Warburg gewann 1931 den Nobelpreis in Medizin und Physiologie für seine Arbeit über Zellatmung und Energieproduktion. Kein Wissenschaftler ist jemals häufiger für den begehrten Preis nominiert worden als Dr. Warburg, aber er verlor laut einiger Quellen seine Chance auf einen zweiten Preis, als Hitler im Jahr 1944 verfügte, dass kein deutscher Wissenschaftler diesen Preis annehmen dürfe.
Um Jahrzehnte Warburg’scher Forschung kurz aufzusummieren: Säugetierzellen erzeugen und speichern verwendbare Energie in Form des Adenosintriphosphat-Moleküls (ATP). Die Produktion von ATP ist eine komplizierte Angelegenheit, die drei separate und sequenzielle zelluläre Reaktionsabläufe beinhaltet und mit der Aufspaltung der Glukose beginnt, einem Zucker mit sechs Kohlenstoffatomen. Der erste dieser Prozesse, die Glykolyse, erfordert keinen Sauerstoff und findet im Zytoplasma statt; der zweite, der Zitronensäurezyklus, vollzieht sich innerhalb der Mitochondrien, jenen ovalen Organellen, mit denen das Zytoplasma durchsetzt ist, und erfordert Sauerstoff; und der dritte, in puncto ATP-Erzeugung produktivste Prozess, der Elektronentransport, läuft in den Membranen der Mitochondrien ab und benötigt gleichfalls Sauerstoff.
In normalen Säugetierzellen stellt die Glykolyse den Ausgangspunkt der Energiesynthese dar. Ihr Endprodukt, Brenztraubensäure, geht dann zunächst in den Zitronensäurezyklus und schließlich in die Elektronentransportkette ein. Bei diesem Prozess werden in einer komplexen Reihe schrittweiser Reaktionen mehrfach energiereiche ATP-Moleküle freigesetzt.
Basierend auf seiner jahrelangen Erforschung des Zellstoffwechselspostulierte Dr. Warburg, dass Krebszellen, anders als normale Zellen, ihre Energie ausschließlich aus anaerober Glykolyse gewinnen. Solche Zellen haben kein Problem bei Sauerstoffmangel, da die metabolische Glykolyse-Maschinerie keinen Sauerstoff erfordert. Warburg behauptete, dass sich in diesen abnormalen Zellen die Glykolyse vom Zitronensäurezyklus und vom Elektronentransport abkoppele, sodass die Zellen letztlich von diesem reichlich ineffizienten Überlebensmechanismus abhängig seien. Krebszellen sind nicht die einzige Zellart, die sich auf diese Weise am Leben erhält: Auch Bakterien synthetisieren ihre ATP-Energie ausschließlich aus der Glykolyse, in einem Prozess, den wir als Gärung kennen.
Diese Abkopplung der Glykolyse vom Zitronensäurezyklus und vom Elektronentransport sowie die angenommene grundlegende Abhängigkeit der Krebszellen vom anaeroben Metabolismus ist seit Warburgs Tagen ausführlich erforscht worden. Viele Wissenschaftler haben seitdem Warburgs Hypothese bestätigt und ergänzt. Wie Dr. Seyfried richtig ausführt, sind Krebsforscher in jüngster Zeit davon abgekommen, die gestörte Zellphysiologie zu untersuchen, da sie von genetischen Abweichungen als erster und einziger Antriebskraft bei Krebsentstehung und -wachstum fasziniert sind.Warburgs Ideen über einen fehlerhaften Stoffwechsel scheinen vonEleganz und Faszination der „genetischen Ursache von Krebs“ in den Schatten gestellt worden zu sein.
Ich meine, dass Dr. Seyfried uns allen ein großen Dienst erwiesen hat, indem er Dr. Warburgs bemerkenswerte Forschungen von vor 80 Jahren neu definiert, wieder aufs Tapet gebracht und verfeinert hat. Anhand von aktuellen Daten aus der Grundlagenforschung belegt er Warburgs Überzeugung, dass das Überleben von Krebszellen allein von der Glykolyse abhängt. Gleiches gilt für dessen Behauptung, dass dies mit der Abkopplung des zuckergestützten und sauerstoffunabhängigen Prozesses vom Zitronensäurezyklus und der Elektronentransportkette zu tun hat. Aber er geht einen gewichtigen Schritt weiter und erklärt, dass die Verbreitung von Krebszellen gestoppt werden kann, wenn man sie der Blutglukose beraubt, da ihre Energiegewinnung vom anaeroben Glukosemetabolismus abhängt.
Unsere normalen gesunden Zellen, egal ob sie im Gehirn sitzen oder in der Haut unserer Füße, bevorzugen tatsächlich Glukose als ihre Rohenergiequelle, die sie aus dem Zucker erhalten, der im Blut zirkuliert. Dieser „Blutzucker“ stammt aus einer Vielzahl von Quellen, darunter diätetischen Kohlenhydraten aus Früchten, stärkehaltigem Gemüse wie Kartoffeln und aus Getreide. Die komplexen Kohlenhydrate in solchen Nahrungsmitteln werden im Verdauungsprozess in Glukose umgewandelt und durch eine Vielzahl kohlenhydratspezifischer Enzyme wie Amylase katalysiert.
Wir speichern auch eine bestimmte Menge Zucker als Glykogen, das sich in der Leber und in den Muskeln findet und gebildet wird, wenn Glukosemoleküle sich miteinander zu komplexen Ketten verbinden. In Notzeiten und wenn keine diätetischen Kohlenhydrate zur Verfügung stehen, können unsere Leber und die Muskelzellen Glykogen in Glukose aufbrechen, damit diese in den Blutstrom freigesetzt wird. Unsere Leberzellen können auch, wenn notwendig, bestimmte Aminosäuren wie Alanin in Glukose umwandeln.
Unsere Glykogen-Vorräte in der Leber und im Muskel sind jedoch ziemlich begrenztund bieten nur eine Notversorgung für acht bis zwölf Stunden. Während einer Fastenkur, beim Hungern oder auf einer kohlenhydratfreien Diät gehen uns die Glykogen-Vorräte schnell aus. In dieser Situation beginnen unsere Fettzellen, die Adipozyten, durch verschiedene neurale und hormonelle Signalvorgänge freie Fettsäuren in den Blutstrom freizusetzen. Diese Fettsäuren können dann wiederum von unseren Zellen im alternativen ATP-Produktionsprozess der Betaoxidation verwendet werden. Das Endprodukt dieser Reaktionsreihe, Acetyl-Coenzym A, kann dann in den Zitronensäurezyklus und in die Elektronentransportkette geleitet werden, um maximale Mengen energiereichen ATPs zu produzieren.
Die meisten unserer Zellen können zwar sämtliche Fettsäuren via Betaoxidation verwenden, um daraus ATP-Energie zu erzeugen, aber unser Zentralnervensystemist dabei ein wenig im Hintertreffen. Die langkettigen Fettsäuren mit 14 oder mehr C-Atomen, mit denen die größte Menge ATP aus der Betaoxidation gewonnen werden kann, können nämlich die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Bei länger andauerndem diätetischen Kohlenhydratmangel beginnt die Leber jedoch, Acetyl-Coenzym A in verschiedene Ketonkörper umzuwandeln, wie Acetoacetat und Hydroxyl-Betabuttersäure, die leicht ins Gehirn vordringen und die, wie Acetyl-Coenzym A, in den Zitronensäurezyklus und dann in die Elektronentransportkette geleitet werden können, um das Gehirn mit ATP zu versorgen.
Bei einer kohlenhydratarmen oder -freien Diät schalten die Milliarden Zellen in allen unseren Geweben und Organen also ihre Energiemechanik um: von einem Prozess, der auf Glukose basiert, auf einen, der durch Fettsäuren und Ketonkörper angetrieben wird. Die Bezeichnung „Ketose“ meint einfach den Zustand, in dem unsere Leber aufgrund von Glukosemangel Ketone aus Acetyl-Coenzym A synthetisiert. Allerdingsverbrauchen wir sogar auf einer kohlenhydratfreien, rein fleischlichen und fettreichen Diät immer noch etwas Glukose,die in Form von Glykogen in Muskeln und Organen gespeichert ist, und unsere Leber wird weiterhin einige diätetische Aminosäuren in Glukose umwandeln. Daher wird also der Blutzuckerspiegel bei einer solchen Diät niemals ganz auf Null sinken. Die produzierten Mengen sind in solchen Fällen aber minimal.
Obwohl unsere normalen Zellen ohne Kohlenhydratzufuhr kein Problem haben, gelte dies nicht für Krebszellen, so Dr. Seyfried. Diese Zellen könnten Fettsäuren oder Ketonkörper niemals für irgendeine signifikante Energieproduktion benutzen, da der Zitronensäurezyklus und der Elektronentransport in ihnen im Grunde inaktiv seien. Als Höhepunkt seiner Exegese postuliert er daher, dass eine fettreiche, kohlenhydratfreie Diät mit mäßiger Proteinzufuhr die tödlich-abnormalen Krebszellen ihrer einzigen Energiequelle beraube, nämlich der Blutglukose, und dies führe zum Zelltod, der sogenannten Apoptose. So einfach ist das. Kein diätetischer Zucker, kein Krebs. Die dahinterstehende Wissenschaft ist beeindruckend, und der Folgeschluss erscheint vielen als außerordentlich vielversprechend. Aberist diese ketogene Diät wirklich eine „neue“ Idee?Oder handelt es sich nur um eine alte, die fürs 21. Jahrhundert noch einmal neu verpackt wurde? Und kann uns die Geschichte etwas über ihre Wirksamkeit gegen Krebs oder irgendeine andere Krankheit lehren?
Verschiedene Wissenschaftler haben schon lange vor Dr. Seyfried den Wert einer ketogenen Diät für alle möglichen menschlichen Krankheitszustände postuliert. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Ärzte und Forscher, die die traditionelle Kultur der Eskimos (Inuit) studierten, fasziniert von der Gesundheit dieser Menschen, die sich von sehr eigentümlicher, fettreicher, ketogener Kost ernährten – eigentümlich zumindest für den westlichen akademischen Verstand. Der berühmte Arktisforscher Stefansson dokumentierte als erster die traditionelle Eskimodiät, die später eingehend in den frühen 1930er Jahren von einem Forscherteam der McGill-Universität in Montreal untersucht wurde.
In einer Zeit, zu der kein westlicher Wissenschaftler glaubte, dass der Mensch allein von Fleisch leben könnte, waren die Forscher überrascht, dass die Eskimodiät buchstäblich zu 100 Prozent aus Tierprodukten bestand. 80 Prozent davon nahmen sie in Form von größtenteils gesättigtem Fett zu sich und 20 Prozent in Form von Proteinen, jedoch enthielt die Diät so gut wie keine Kohlenhydrate.Von der Wiege bis zum Grab lebten diese traditionellen Eskimos in einem Zustand der Ketose.
Im Rückblick macht es Sinn, dass sich die Eskimos in der Arktis aus Überlebensgründen an eine fettreiche Diät mit gemäßigter Proteinzufuhr und keinen Kohlenhydraten angepasst haben. Mit dem kurzen Sommer und in Ermangelung an Böden, die für Getreidezucht geeignet wären, bietet die Region nicht genügend Pflanzennahrung für den menschlichen Verzehr, dafür aber reichlich tierische Nahrung, sowohl auf dem Land wie auch im Meer. Wenn die Eskimos sich diesen Nahrungsverhältnissen nicht angepasst hätten, dann wären sie in einem solch schwierigen, extremen Teil der Welt schlicht ausgestorben. Stefansson, der die Eskimos zehn Jahre lang studiert und mit ihnen gelebt hatte, wies darauf hin, dass sie sich interessanterweise bewusst waren, dass ihre reine Fleischdiät fettreich sein muss und nicht allzu viel Protein enthalten darf. Sie warnten davor, dass eine Diät, die nicht genügend Fett enthält (oder, wie es im westlichen Wissenschaftsjargon heißen würde: eine Diät mit hohem Proteinanteil), zu Krankheit und schließlich zum Tod führen würde.
Wie Stefansson und andere Wissenschaftler nach ihm herausfanden,schienen die Eskimos, die sich fettreich, also ketogen ernährten, unter keiner der üblichen degenerativen Krankheitenzu leiden – einschließlich Krebs- und Herzkrankheiten, die in der westlichen Welt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bereits steil zunahmen. 1960 schrieb Stefansson – der inzwischen durch seine Abenteuer in entlegenen Gegenden ziemliche Berühmtheit erlangt hatte – ein Buch mit dem Titel „Cancer: Disease of Civilization?“ (Hill and Wang, 1960), in dem er behauptete, dass man mit einer typischen Eskimodiät vor der schrecklichen Krankheit Krebs gefeit wäre. In einer ganzen Reihe von Bestsellern vertrat Stefansson den Standpunkt, dass wir alle wie die Eskimos leben und auf eine fettreiche Diät mit gemäßigtem Proteinanteil und ohne Kohlenhydrate umstellen sollten – das heißt, wenn wir bei bester, anhaltender Gesundheit bleiben wollten.
Blake Donaldson, MD, der jahrzehntelang eine allgemeinärztliche Praxis auf Long Island, New York, führte, begann in den 1920er Jahren eine ketogene Diät zu verschreiben. Donaldson, der sich eingehend mit Stefanssons Berichten über die Eskimodiät beschäftigt hatte, empfahl dabei die rein auf Fleisch und viel Fett beruhende Diät vor allem Patienten, die unter Beschwerden wie Fettleibigkeit, Diabetes und Herzkrankheiten litten. Krebs schien bei ihm nicht im Mittelpunkt zu stehen. In seinem Buch „Strong Medicine“ (Doubleday, 1961) fasste Dr. Donaldson seine Entdeckungen und seine langjährige Erfahrung mit einer fettreichen Diät zusammen.
In jüngerer Zeit machte dann derberühmte New Yorker Ernährungsmediziner Robert Atkins die ketogene Diät populär, undzwar nicht als Maßnahme gegen Krebs, sondern als ultimativen Weg zur Gewichtsreduktion. Seine Bücher verkauften sich jahrzehntelang insgesamt weit mehr als zehn Millionen Mal. Von der Erstausgabe der „Diet Revolution“ (D. McKay Co, 1972) gingen zeitweise mehr als 100.000 Exemplaren pro Woche über den Ladentisch – zu jener Zeit ein Rekord in der Verlagsgeschichte der Vereinigten Staaten. Im Laufe der Jahre begann Dr. Atkins, ein ausgebildeter Kardiologe, in der ketogenen Diät die Antwort auf viele Probleme der westlichen Zivilisation zu sehen – angefangen von Übergewicht, über Herzkrankheiten, Diabetes und Bluthochdruck bis hin zu Krebs.
Die traditionelle Atkins-Diät hatte zweifellos einen hohen Fettanteil –im Bereich von 70 Prozent und mehr –, der fast ausschließlich aus tierischen Quellen stammte, und enthielt nur wenig Kohlenhydrate (unter zehn Prozent). Dr. Atkins, der in seinen frühen Jahren als Ernährungsmediziner bekanntermaßen die Ketose mit Nachdruck vertrat, beharrte darauf, dass seine Patienten mehrmals am Tag routinemäßig den Ketonspiegel in ihrem Urin überprüfen und spezielle Ketonteststreifen verwenden sollten. In seinen Büchern und im Sprechzimmer vor seinen eigenen Patienten warnte Dr. Atkins, dass man, um die Früchte der Diät ernten zu können, den Zustand der Ketose erreichen und beibehalten müsse – ganz wie die traditionellen Eskimos. Schon die geringste Abweichung von der Diät, eine unkluge Schummelei mit einem Plätzchen oder einer Süßigkeit, würde eine Ketose verhindern, und damit den Nutzen der Diät.
Ich kannte Bob ziemlich gutund sah ihn als Freund an. Wir trafen uns zum ersten Mal, als ich ihn im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit für einen Artikel zum Thema Ernährung interviewte. Wir blieben in engem Kontakt, als ich ein Medizinstudent war. In meinem ersten Jahr an der Cornell Medical School – an der auch Bob seinen Abschluss gemacht hatte – lud ich ihn eines Tages im Rahmen einer von mir organisierten Vortragsreihe zu alternativen Heilungsansätzen als Redner ein.
Nachdem ich mein Stipendium in konventioneller Immunologie unter Dr. Good abgeschlossen hatte, bot Bob mir 1987 liebenswürdigerweise einen Job in seiner Klinik an. Ich sollte nicht mit Patienten arbeiten, die ihn wegen spezifischer oder allgemeiner Ernährungsfragen aufsuchten, sondern eine Krebsstation leiten, die er zu dieser Zeit aufbaute. Obwohl ich dankbar für sein Angebot war, lehnte ich ab, denn ich hatte mich bereits entschlossen, eine eigene Praxis zu gründen.
Bob hatte als Ernährungsmediziner großen Erfolg; zumZeitpunkt seines Todes im Jahr 2003 wurde sein Vermögen auf 350 Millionen Dollar geschätzt. Er war zudem ein sehr ambitionierter und hochintelligenter Arzt, der die ultimative Herausforderung der Medizin ganz klar im Kampf gegen Krebs sah, nicht gegen Fettleibigkeit. Bob, der Stefanssons Arbeit gut kannte, erklärte mir bei mehr als einem unserer gemeinsamen Abendessen gegen Ende der 1980er, dass die ketogene Diät möglicherweise die entscheidende Lösung für Krebs darstellen könne. Wie Donaldson und Stefansson vor ihm dachte er, dass sich alle Menschen nur ketogen ernähren müssten, um ein für alle Mal den idealen Gesundheitszustand zu erreichen. Aber hatten sie Recht? Oder gab es noch eine andere, möglicherweise zutreffendere Antwort auf die Frage nach der richtigen menschlichen Ernährung?
Obgleich Bob Atkins fest von seiner fettreichen ketogenen Diät überzeugt war, wusste ich mittlerweile, dass andere genau den gegensätzlichen Standpunkt einnahmen. Nathan Pritikin zum Beispiel, den ich, wie Bob, persönlich kannte und der ebenfalls nach Cornell kam, um Vorträge zu halten. Pritikin glaubte, und das mit fanatischer Überzeugung, dass alle Menschen genetisch und metabolisch auf eine sehr fettarme Diät mit hohem Kohlenhydratanteil programmiert seien, die ausschließlich auf Pflanzen basiert. Befolge man diese sorgfältig, könne sie uns vor allen degenerativen tödlichen Krankheiten wie Diabetes, Herzkrankheit oder Bluthochdruck schützen – und möglicherweise sogar vor Krebs. Die traditionelle Pritikin-Diät war buchstäblich ein Spiegelbild der Atkins-Diät: etwa 70–75 Prozent aller Kalorien stammten aus Kohlenhydraten und 15–20 Prozent aus Protein, alles aus pflanzlichen Quellen; acht Prozent oder weniger aus wiederum rein pflanzlichem Fett. Nach Pritikins Tod im Jahr 1985 griff Dr. Dean Ornish aus San Francisco den Pritikin’schen Ansatz auf und testete schließlich eine ähnliche Diät an Patienten, die unter Herzkrankheiten litten, sowie bei Patienten mit Prostatakrebs.
Die Ernährungswelt war sicherlich damals wie heute verwirrend; voll von verschiedenen Wissenschaftlern, Ärzten und Laien-Autoren, die mal die eine, mal die andere Diät predigten und häufig – wie im Falle Atkins und Pritikin – völlig gegensätzliche diätetische Empfehlungen aussprachen. Glücklicherweise hatte ich 1987, als Dr. Atkins mir einen Job anbot, bereits etwas gefunden, was ich für eine Lösung für das Dilemma der sich duellierenden diätetischen Dogmen hielt. Schon vor Beginn meiner medizinischen Ausbildung im Jahr 1979 hatte ich nämlich die bahnbrechende Arbeit von Weston A. Price gelesen, dem amerikanischen Zahnarzt und Forscher. Seit Ende der 1920er Jahre hatte Dr. Price gemeinsam mit seiner Frau sieben Jahre lang die Welt bereist und isolierte Bevölkerungsgruppen begutachtet, die nach althergebrachter Tradition lebten und aßen. Heute wäre solch eine Studie unmöglich, da fast überall jedermann die „westliche“ Lebens- und Ernährungsweise angenommen hat, von Jeans bis Junkfood. Aber zur Zeit von Dr. Price gab es noch viele Gruppen an verschiedenen Orten der Welt, die nach wie vor traditionsgemäß lebten und im Großen und Ganzen unberührt vom modernen westlichen Einfluss geblieben waren. Dr. Prices Reisen führten ihn von den Eskimos der Arktis zu den Nachkommen der Inkas in den hohen Anden, den Masais auf den Ebenen von Kenia, zu abgeschiedenen schweizer Berghirten in den alpinen Gebirgstälern und den Polynesiern, die auf unberührten tropischen Inseln lebten.
Jede der Gruppen, die Dr. Price studierte, schien sich gut an die naturgegebene Nahrungsmittelversorgung angepasst zu haben. Wie Stefansson schon früher berichtet hatte und Price bestätigte, kamen die Eskimos wunderbar mit ihrer fettreichen, kohlenhydratfreien Fleischkost zurecht. Die Nachkommen der Inka andererseits lebten ziemlich gut, indem sie Pseudogetreide wie Quinoa aßen, dazu Knollen, Früchte, ein wenig tierisches Protein und Milchprodukten. Die Masais gediehen bei einer reichlich extremen Diät, die für erwachsene Krieger aus einer Gallone ungekochter Milch am Tag bestand, etwas Blut und gelegentlich Fleisch, aber keine Früchte, Gemüse, Nüsse, Samen oder Körner beinhaltete. Den schweizer Viehhirten ging es prächtig, indem sie die rohe Milch grasender Kühe tranken und Käse aßen, zusammen mit nährstoffreichem Vollkornbrot. Im Zentrum der polynesischen Diät wiederum standen die Kokosnuss und ihre Produkte: die Milch, das Fleisch und die Sahne, die kreativ und vielfältig verwendet wurden, zusammen mit Fisch, etwas Fleisch von wilden Tieren und Früchten.
Diese Ernährungsweisen konnten unterschiedlicher nicht sein: Ein Eskimo trank niemals Milch oder aß eine Kokosnuss, die Inka-Nachkommen bekamen nie eine Kokosnuss oder Walfischtran zu Gesicht, ein Masai aß nie eine Kokosnuss oder Getreide, die Polynesier nie Körner oder Käse und tranken nie Milch.
Egal, wie unterschiedlichdiese Diäten sein mochten: Jede dieser Gruppen und der anderen, von Price untersuchten traditionellen Volksstämme erfreute sich ausgezeichneter, anhaltender Gesundheit. Sie kannten keine Zivilisationsleiden wie Krebs, Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck. In seinem außergewöhnlichen und sehr ausführlichen Buch mit dem Titel „Nutrition and Physical Degeneration“ (Price-Pottenger Nutrition Foundation, 1939) dokumentierte Dr. Price seine These, dass wir Menschen uns über tausende von Jahren nicht an nur eine einzige Ernährungsweise angepasst und diese beibehalten haben, sondern an eine große Bandbreite unterschiedlicher Diäten.
Natürlich gab es auch einige Gemeinsamkeiten in den Ernährungsstilen: Alle diese traditionellen Völker aßen einige Tierprodukte und nahmen eine angemessene Menge Fett zu sich, die entweder aus pflanzlichen oder tierischen Quellen stammten. Sämtliche Nahrung wurde selbstverständlich vor Ort angebaut und auch dort geerntet oder eben gejagt, da diese isolierten Gruppen keinen Zugang zur industrialisierten Nahrung der modernen „Zivilisation“ hatten. Die Nahrung musste lokal sein. Und alle diese Gruppen konsumierten etwas Nahrung in ihrer rohen, ungekochten Form, der sie einen besonderen Nährwert beimaßen.
Ich hatte Dr. Prices Buch erstmals während meiner Journalistentätigkeit gelesen und wusste daher aus seiner umfangreichen Arbeit, dass die Menschen eine vielfältige Spezies darstellen, die sich in der Vergangenheit mit Ausnahme der Antarktis an alle ökologischen Nischen und die dort vorhandene Vielzahl an Nahrungsquellen angepasst hatte. Für mein Dafürhalten bot seine Arbeit eine Lösung für die kontroversen diätetischen Ratschläge, die schon zu seiner Zeit durch die Welt geisterten. Es machte keinen Sinn, wie Nathan Pritikin darauf zu beharren oder wie Bob Atkins zu argumentieren, dass alle Menschen einer bestimmten Diät zu folgen hätten: Zumindest für mich schien es einfach nicht stimmig.
Im Sommer 1981, nachdem ich mein zweites Jahr an der medizinischen Hochschule absolviert hatte, erhielt ich weitere Bestätigung für meine Gedankengänge. In diesem Juli bekam ich über meine früheren Kontakte als Journalist die Gelegenheit, einen umstrittenen alternativen Krebsbehandler zu treffen: den Zahnarzt Dr. William Donald Kelley. Seit den frühen 1960er Jahren hatte Kelley über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg einen sehr intensiven Ernährungsansatz für Krebs entwickelt, der unter den Argusaugen der Öffentlichkeit in die Medien geriet, als er sich bereit erklärte, Steve McQueen zu behandeln. Bei dem Schauspieler war ein fortgeschrittenes Mesotheliom diagnostiziert worden, eine besonders tödliche Form von Krebs, die mit einer Asbestvergiftung assoziiert wird. Er suchte Kelley auf, nachdem die herkömmlichen Therapien – Bestrahlung und Immuntherapie – den Krankheitsverlauf nicht hatten aufhalten können. Obwohl er sich zunächst zu erholen schien, hielt sich McQueen laut Aussagen derjenigen, die ihn pflegten, nicht besonders an die Vorgaben und war zum Zeitpunkt, als er sich erstmalig bei Kelley vorstellte, schon zu krank für jede mögliche Therapieform. Er verstarb schließlich in einer mexikanischen Klinik unter dem Stirnrunzeln der Medien, die ihn dafür kritisierten, sich für eine alternative Methode entschieden zu haben.
Eine befreundete Journalistin stand damals mit Dr. Kelley in Kontakt und meinte, dass sich das Thema bei all der Aufmerksamkeit um dessen Person für ein erfolgreiches Buch eignen könnte. Doch sie wollte, dass ich mich persönlich mit Kelley treffe, der zufällig gerade in New York war, um ihr Buchprojekt zu besprechen. Sie erklärte mir geradeheraus, dass sie meine Meinung über diesen Mann benötigte, den sie nicht recht einschätzen konnte. War er mit seiner merkwürdigen Therapie wirklich auf etwas Nützliches und Außergewöhnliches gestoßen oder nur ein Betrüger, der arme Krebspatienten ausnahm, wie die Medien dies suggerierten? Obwohl ich zuerst dagegen war, willigte ich letztlich doch ein, Kelley zu treffen, der sich dann als ganz anderer Mensch entpuppte als ich erwartet hatte. Ich erlebte ihn als sehr schüchternen, gedankenvollen und eindeutig sehr intelligenten Mann. Und ich erkannte, dass er von ganzem Herzen hinter seinem Ansatz der Ernährungsumstellung bei Krebs stand.
Während dieses ersten Treffens beschrieb Kelley mir ausführlich die Grundlagen seiner Therapie. Zusammenfassend handelte es sich um drei grundlegende Komponenten: eine individualisierte Diät, individualisierte Nahrungsergänzungsprogramme mit hohen Dosen an Pankreasenzymen, von denen Kelley annahm, dass sie gegen Krebs wirkten, und Entgiftungsroutinen, wie beispielsweise Kaffee-Einläufe. Er glaubte fest daran, dass jeder Patient ein Protokoll benötigte, das auf seine bestimmten metabolischen, physiologischen und biochemischen Bedürfnisse abgestimmt war, und dass eine einzige Diät nie für alle gelten könne.
Wie ich erfahren sollte, reichten die von Dr. Kelley verschriebenen Diäten von pflanzenbasierten Varianten mit vielen Kohlenhydraten bis hin zu einer Atkins-artigen Diät, die den Patienten mehrmals am Tag fetthaltiges Fleisch verordnete. Im Allgemeinen glaubte Kelley, dass Patienten, bei denen die typischen festen Tumoren diagnostiziert worden waren – Krebse der Brust, der Lungenflügel, des Magens, des Pankreas, des Darms, der Leber, der Gebärmutter, der Eierstöcke, der Prostata –, die besten Chancen hatten, wenn sie sich an eine pflanzenbasierte Diät mit wenig tierischem Protein und tierischem Fett hielten. Patienten, bei denen immunbasierte „Blutkrebse“ wie Leukämie, Lymphom und Myelom oder etwa Sarkome (eine Art Bindegewebsmalignität) festgestellt worden waren, benötigten eine Diät mit weniger Kohlenhydraten, hohem tierischen Fett- und mittlerem tierischen Proteinanteil. Andere Patienten, die üblicherweise andere Probleme als Krebs hatten, kamen am besten mit einer „ausgeglicheneren“ Diät zurecht, die eine Kombination aus pflanzlichen und tierischen Produkten enthielt. Alle seine Patienten aber nahmen Kohlenhydrate in Form von Frucht und Karottensaft zu sich; die Mengen variierten entsprechend der zugrundegelegten Stoffwechselbedürfnisse. Da ich die Arbeit von Weston Price so genau studiert hatte, klang das alles für mich durchaus einleuchtend.
Nach meinem ersten langen Gespräch mit Dr. Kelley schlug mein wissenschaftlicher Mentor Dr. Good mir vor, während meiner Semesterferien damit zu beginnen, eine informelle Bestandsaufnahme von Kelleys Patientendaten vorzunehmen, die sich in dessen Büro in Dallas befanden. Vom ersten Tag in Dallas an fand ich in Kelleys Akten einen Patienten nach dem anderen mit korrekt diagnostizierter, schlechter Prognose oder mit Krankheiten, die als tödlich eingestuft werden, wie etwa metastasierender Pankreaskrebs und metastasierender Brustkrebs. All diese Patienten hatten sich unter seiner Obhut über viele Jahre gut gehalten, oft war sogar eine Rückbildung der Krankheit dokumentiert. Diese einleitenden Befunde trieben Dr. Good an, eine genauere Untersuchung von Kelleys Methoden und Resultaten anzuregen. Der Umfang des Projekts wuchs, ich setzte meine „Kelley-Studie“ in meiner Freizeit während der letzten zwei Jahre der medizinischen Ausbildung fort und brachte sie während meines Immunologie-Stipendiums unter Dr. Good am All Childrens’ Hospital in St. Petersburg letztlich zum Abschluss.
Für die Studie überprüfte ich tausende von Kelleys Patientenakten, interviewte über eintausend seiner Patienten persönlich und überprüfte 455 seiner Fälle im Detail. Unter Goods Regie brachte ich schließlich meine Informationen in Monographieform, einschließlich 50 ausführlicher Fallberichte von Patienten mit 26 verschiedenen Krebsarten, die alle eine schlechte Prognose erhalten und auf Kelleys Ernährungsplan positiv reagiert hatten.
Bei einem dieser Patienten, einer Frau aus Appleton, Wisconsin, war im Sommer 1982 Bauchspeicheldrüsenkrebs der Stufe IV festgestellt worden, die aggressivste Form dieser ohnehin äußerst aggressiven Krankheit. Eine Leberbiopsie während eines explorativen Eingriffs belegte die Diagnose eines metastasierenden Krebses, was die Mayo-Klinik später bestätigte. Als der für den Fall zuständige Onkologe der Klinik sagte, man könne nichts mehr tun, suchte die Patientin nach alternativen Ansätzen, stieß auf Kelleys Arbeit und begann mit der Therapie. 31 Jahre später ist sie noch immer gesund und munter und konnte miterleben, wie ihre Kinder – und jetzt ihre Enkelkinder – ihren Collegeabschluss machten. Um diesen Fall ins rechte Licht zu rücken: Ich kenne keinen Patienten in der gesamten Geschichte der Medizin mit Pankreaskrebs im Stadium IV und durch Biopsie nachgewiesenen Lebermetastasen, der so lange gelebt hat.
Ein anderer denkwürdiger Fall, über den ich auch im Buch berichtet habe, war eine Frau, bei der 1969 etwas diagnostiziert worden war, das man für lokalen Endometriumkrebs hielt. Nach einem Bestrahlungszyklus, mit dem ihr großer Tumor geschrumpft werden sollte, bekam sie noch eine Hysterektomie, woraufhin man ihr erklärte, man habe „alles erwischt“. Über die nächsten Jahre verschlechterte sich ihre Gesundheit jedoch zusehends: Sie war dauernd erschöpft, litt unter Übelkeit, Schmerzen im Becken und Gewichtsverlust. Obwohl sie wiederholt ihren Hausarzt aufsuchte, tat der ihre Klagen als „Nervensache“ ab und empfahl lediglich ein Beruhigungsmittel. Schließlich entwickelte sich 1975 eine tastbare Masse in der Größe einer Pampelmuse in ihrem Becken, die von ihren Ärzten – die sie nun endlich ernstnahmen – als Indiz dafür angesehen wurde, dass ihre Krankheit zurückgekehrt war. Eine Röntgenthoraxaufnahme zeigte zur gleichen Zeit mehre Knoten in beiden Lungenflügeln, ein Zeichen für stark metastasierenden Krebs.
Obwohl man ihr erklärt hatte, dass sie sich in einer fatalen Situation befände und ihr Krebs unheilbar wäre, unterzog sie sich einem operativen Eingriff, um den großen Beckentumor zu entfernen und damit dem bevorstehenden Darmverschluss zuvorzukommen. Daraufhin begann sie, synthetisches Progesteron einzunehmen, das damals hauptsächlich gegen metastasierenden Eierstockkrebs zum Einsatz kam. Ihre Ärzte meinten, dass das Mittel sie wohl nicht heilen könne, aber ihr Leben hoffentlich um einige Monate verlängern würde. Sie brach die Medikation jedoch nach einigen Wochen wegen ernster Nebenwirkungen wieder ab. Mangels anderer konventioneller Optionen fing sie an, sich nach alternativen Ansätzen umzusehen. Sie erfuhr von Kelleys Arbeit, begann sofort mit dem Programm, gewann ihre Gesundheit zurück und mied jahrelang alle Schulmediziner. 1984, neun Jahre, nachdem sie unter Kelleys Fittiche gekommen war, kehrte sie zu ihrem Hausarzt zurück, der völlig verdutzt war, sie nach all dieser Zeit noch lebendig zu sehen. Eine Thoraxaufnahme zeigte, dass sich ihre zuvor weit gestreuten Lungenflügel-Metastasen komplett zurückgebildet hatten. Die Patientin lebte schließlich bis 2009 und starb im Alter von 95 Jahren – sie hatte 34 Jahre mit der Diagnose „wiederkehrender metastatischer Gebärmutterkrebs“ überlebt.
Zwar verschrieb Kelley seinen Krebspatienten eine Vielzahl an Diäten, doch folgten diese zwei mustergültigen Patienten einem Ernährungsplan auf pflanzlicher Basis. Dieser war reich an Kohlenhydraten und sah ein Minimum von täglich vier Gläsern Karottensaft vor, der reich an Nährstoffen, aber auch an natürlichem Zucker ist. Bei jeder dieser Diäten waren beträchtliche Mengen an Frucht- und Vollkornprodukten gestattet, also Nahrungsmittel voller Kohlenhydrate. Laut Seyfrieds Hypothese hätten beide Patienten in kürzester Zeit elendig zugrunde gehen müssen.
Als ich meine Monographie 1986 fertigstellte, hoffte ich, dass ihre Veröffentlichung unvoreingenommene Forscher davon überzeugen könnte, Dr. Kelley und seine Ernährungstherapie ernstzunehmen. Doch wie ich bald erfahren sollte, hatte ich naiverweise völlig verkannt, wie feindselig sich die wissenschaftliche Gemeinschaft gegenüber unkonventionellen Krebstherapien verhält, die nicht in das „akzeptierte“ Modell passten. Selbst mit Dr. Goods Unterstützung war es mir nach zwei Jahren immer noch nicht gelungen, das Buch zu veröffentlichen, weder in vollem Umfang noch in Form einzelner Fallberichte, die in die üblichen medizinischen Fachzeitschriften gepasst hätten. Die Herausgeber zeigten sich skeptisch und behaupteten, die Resultate könnten nicht zutreffen, da eine ungiftige Ernährungstherapie niemals gegen Krebs im fortgeschrittenen Stadium wirksam sein könne. Ich fand die Logik, „es kann nicht wahr sein, weil es nicht wahr sein kann“ verblüffend, vor allem für Herausgeber wissenschaftlicher Journale. Letzten Endes wurde das Buch im Jahr 2010 in einer überarbeiteten und aktualisierten Form veröffentlicht.
Entmutigt durch unseren vergeblichen Versuch, die Ergebnisse meiner fünfjährigen Bemühungen der Welt mitzuteilen, hatte Kelley mehr oder weniger die Nase voll, schloss 1987 seine Praxis und tauchte für einige Jahre unter. Nachdem sich unsere Wege getrennt hatten, sprachen wir nie wieder miteinander. Er starb schließlich im Jahr 2005; sein Traum von der akademischen Anerkennung sollte sich nie verwirklichen. Dafür habe ich mit meiner Kollegin Dr. Linda Isaacs in den letzten 26 Jahren intensiv daran gearbeitet, Kelleys Idee am Leben zu erhalten, dass unterschiedliche Menschen völlig verschiedene Diäten benötigen können. Im nächsten Teil werde ich über meine eigenen Erfahrungen bei der Behandlung von Patienten sprechen, die mit fortgeschrittenem Krebs mit einem auf Kelley basierenden Ansatz behandelt wurden. Zu unserer Therapie gehören oft stark kohlenhydrathaltige Diäten, von denen die Vertreter der ketogenen Diät wohl sagen würden, dass diese den Krebs beschleunigen, aber nicht aufhalten.
Ganz aktuell ist gerade auf Fox News ein Interview mit Dr. Gonzalez erschienen, das Sie hier finden: http://tinyurl.com/ps8na3n.
Teil 2 des Artikels erscheint in der Dezember-Ausgabe von NEXUS.
Vielen Dank für den interessanten Artikel. Allerdings kann ich den vollständigen Namen des Autoren nicht finden (Dr Gonzalez?) oder Referenzen zu den im Artikel erwähnten Studien bzw. Literatur
@Pat Buchtmann
hier gelangen Sie zur Autorenseite von Dr. Nicholas J. Gonzales mit weiteren Informationen: www.nexus-magazin.de/artikel/autor/dr-nicholas-j-gonzalez
Eine Infobox über den Autor befindet sich rechts neben unseren Artikeln. Falls sie von einem Smartphone zugreifen, kann es je nach Displaygröße passieren, dass diese Box aus Platzmangel nicht angezeigt wird.