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Die dezentrale Revolution: Wie Bitcoin und Blockchain Wirtschaft und Gesell­schaft verändern

dezentralIch halte meinen Verstand eigentlich für recht brauchbar, doch beim Thema Blockchain und Krypto­währungen knallt er regelmäßig durch. Auch nach der Krypto­kolumne, die wir in NEXUS 75 bis 81 veröffentlicht haben (https://tinyurl.com/kryptokolumne), hatte ich am Ende mehr Fragen als Antworten. Ist das nun die Befreiung aus der Finanzknechtschaft, die alle herbeisehnen – oder nur die Neuauflage der Dotcom-Blase?


Aaron Koenig ist neben Julian Hosp einer der deutschen Autoren, die auf Kryptorevolution gebürstet sind und sich auf die Fahnen geschrieben haben, Hans und Anna den Segen der Zukunftstechnik zu vermitteln. Lesen tut sich das alles dufte: staats­freies Geld, über das jeder nur selbst via privaten Schlüssel verfügt, dezentrales und kryptografisches Speichern von persönlichen Informationen, Vertrauens­bildung ohne zentrale Autoritäten, Kleinanlegermärkte via Tokenisierung und, und, und. Der erste Teil des Buches war letztlich eine Auffrischung der Lobgesänge, die ich oft genug gehört hatte.

Mir brannten immer noch Fragen unter den Nägeln: Wie ist das eigentlich mit dezentraler Software, den DApps? Ist die nicht fürchterlich lahm, wenn sie auf der Blockchain läuft? Zahlt man wirklich für jeden Datenverkehr mit digitalem „Sprit“ und gibt es nicht schnellere, kostenlose Open-Source-Lösungen? Was genau unterscheidet eigentlich die über 8.400 Kryptowährungen? Und was, wenn die Staaten sie einfach verbieten?

Kurzentschlossen hakte ich beim Autor nach. Im Gespräch wurde mir allerdings bald klar, dass man einen Krypto-Enthusiasten nicht mit zu vielen kritischen Fragen gängeln sollte – entweder, man reitet die Welle, oder man lässt das Surfbrett stehen. So blieb unser Dia­log ein Lobgesang auf den Bitcoin, dem Koenig einen nicht mehr einzuholenden Entwicklungsvorsprung bescheinigt und zu dessen Investition er weiterhin rät. Verbieten? Das sei schon rein technisch nicht möglich, und wenn nur ein Land ausschert, flüchten die Anleger dorthin.

Im Nachhinein ärgere ich mich, das Buch nicht komplett gelesen zu haben, bevor ich den Autor anschrieb. Denn der erste Teil bildet nur die Basis für den zweiten, in dem weiterführende Projekte vorgestellt werden, die mich ganz hibbelig werden ließen. Einige wachsen auf den neuen dezentralen Währungen, andere völlig unabhängig davon – immer aber steht das Thema Dezentralität und Eigenverantworung im Mittelpunkt.

Im Bereich Internet ist hier Tim Berners-Lee zu nennen, einer der Gründungsväter des World Wide Web, der persönliche dezentrale Datenspeicher (PODs) entwickelt, die jedem Nutzer wieder die Verfügungsgewalt über die eigenen Daten zurückgeben sollen. Oder das Internet of People (IoP), das sich als Gegenentwurf zum Internet der Dinge versteht und auf ein System setzt, mit dem man eigene Knoten im dezentralen IoP-Netzwerk betreiben kann.

Ein paar Ebenen höher gibt es noch ambitioniertere Ansätze, wie etwa Bitnation – eine Blockchain-Plattform, auf der man eigene Nationen gründen, einem Rechtskodex unterwerfen und sogar schon einen Diplomatenpass kaufen kann. Und dann sind da noch die Projekte, die das Prinzip der Dezentralisierung in die reale Welt tragen: Liberland kennen gewiss einige Leser, und auch von Seasteading – Wohnsitzen außerhalb von staatlichem Hoheitsgebiet auf dem Meer – hat man schon gehört. Die ZEDE-Sonderwirtschaftszonen in Honduras, wo bereits jetzt freie Städte entstehen, oder auch die Initiative für freie Privatstädte, die vom deutschen Titus Gebel vorangetrieben wird, kannte ich dagegen noch nicht.

Diese libertären Denkanstöße sind es, die für mich den Wert dieses Buchs ausmachen, denn viele davon geistern weiter in meinem Kopf. Um meine kritischen Fragen zu beantworten, muss ich allerdings woanders suchen.

Aaron Koenig
FinanzBuch Verlag

217 Seiten
ISBN: 978-3-959721-66-0
€ 16,99