NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/der-schatten-der-nemesis-die-sphinx-und-die-grosse-pyramide
In den 1980er und 1990er Jahren versuchten unabhängige Forscher das Alter der Sphinx neu zu bestimmen und die Schächte der Großen Pyramide näher zu untersuchen. Doch ihre Bemühungen scheiterten letztlich immer am selben Hindernis: dem Generalsekretär der ägyptischen Altertumsbehörde Zahi Hawass, der ganz eigene, längerfristige Pläne zur Untersuchung des Gizeh-Plateaus zu verfolgen scheint.
René Adolphe Schwaller de Lubicz war der erste Forscher, der in den 1950er Jahren auf die Wassererosionsspuren an der Sphinx aufmerksam machte –doch sollte es bis 1979 dauern, dass John Anthony West mit seinem Werk „Die Schlange am Firmament“ einen Mediencoup mit diesem Thema landete. Kurz darauf folgte im Jahr 1980 Zecharia Sitchins „Stufen zum Kosmos“ – und so hatte innerhalb von zwei Jahren der Tempel der akademischen Ägyptologie zu wanken begonnen. Neben ihm sprossen, basierend auf Sitchins und Wests Büchern, kleine „Heimwerkstätten des New Age“ aus dem Boden: spekulative Schriften, die sich mit dem Alten Ägypten auseinandersetzten. Die Theoretiker, denen noch der akademische Staub der 1960er die Sicht vernebelte, wiesen zumeist darauf hin, dass die Sphinx ihrem äußeren Anschein nach viel älter zu sein schien als andere antike ägyptische Bauwerke.
Das Imperium konterte, indem es sich seiner unerschöpflichen ökonomischen und politischen Ressourcen bediente. Unter Leitung des linientreuen Hardliners Dr. K. Lal Gauri, Direktor des Steinkonservierungslabors an der University of Louisville in Kentucky, und Mark Lehners, Grabungsleiter für das amerikanische Forschungszentrum in Ägypten (ARCE), begann man eine geologische Untersuchung der Sphinx einzuleiten – die seltsamerweise ausgerechnet von der Edgar-Cayce-Stiftung gefördert wurde. Lehners vorläufige Ergebnisse wurden in einem Newsletter des ARCE im Jahr 1980 veröffentlicht. Im gleichen Organ präsentierte Gauri 1981 dann seine These: Die Sphinx scheine so alt, weil das Grundwasser durch Kapillareffekte an die Oberfläche steige und in den kühlen Nächten als konzentrierte Salzlösung in die Poren der Sphinx gelange. Sobald die Temperaturen im Morgengrauen zu steigen begännen, verdampfe das Wasser, sodass das Salz in den Poren zu kristallisieren beginne. Der resultierende Druck führe dazu, dass die Kalksteinoberfläche rissig werde und abzubröckeln beginne. Vor diesem Hintergrund kam Gauri zu dem Schluss, die Sphinx sei frühestens zur Zeit der Vierten Dynastie errichtet worden.1
Nach Erscheinen des geologischen Gutachtens äußerte sich West dazu und meinte, Gauri habe seine eigenen Befunde ignoriert, um „die allgemein anerkannte Chronologie der Evolution der menschlichen Zivilisation“ zu retten. Laut Lehners Berechnungen nämlich, die in der Studie veröffentlicht wurden, bliebe innerhalb des orthodoxen Zeitstrahls nur ein Zeitfenster von 500 Jahren, in dem diese Erosion hätte stattfinden können. In dieser kurzen Spanne hätte das Salz nie und nimmer die gut 60 Zentimeter tiefen senkrechten Furchen erzeugen können, die in der Umfassungsmauer der Sphinx zu sehen sind. West ging noch einen Schritt weiter und warf Gauri vor, sich einen Prozess aus den Fingern gesogen zu haben, der 500 Jahre während und nach der Regierungszeit Chephrens, als der Grundwasserspiegel noch 15 Meter unter seinem jetzigen Niveau lag, auf magische Weise funktioniert und das Wasser zur Sphinx hinaufgesogen haben soll. Und dieser Prozess soll dann auf ebenso magische Weise plötzlich vor 4.000 Jahren zum Erliegen gekommen sein, obwohl der Wasserspiegel seither beständig angestiegen ist.2
West, der keinen Doktortitel vorweisen konnte, wurde von der Öffentlichkeit ignoriert. Dennoch revidierte Gauri seine Kapillartheorie und sprach stattdessen ab 1986 vom „Abendtau der Wüste“ als Verursacher. Seine „Salzkorrosions“-Theorie, die bis zum heutigen Tag von der Wissenschaft vertreten wird, erklärte er wie folgt:
„Das Wasser stammt aus der Atmosphäre, nicht aus dem Untergrund, denn der Wasserspiegel befindet sich viele Meter unter den zur Diskussion stehenden Oberflächen. Folglich muss das Gestein während der langen Verschüttung der Sphinx bis in eine beträchtliche Tiefe feucht geworden sein, und als es unter dem Einfluss der Sonne auszutrocknen begann, müssen sich die Salze in den Oberflächenschichten angesammelt haben.“3
Da er mit seinem Latein am Ende war, bat John Anthony West 1989 Dr. Robert M. Schoch, in die Debatte einzusteigen.
Im Jahr 1990 unternahm Dr. Robert Schoch, Yale-Absolvent und Geologe mit einer beeindruckenden Referenzliste, seine erste wissenschaftliche Forschungsreise zum Gizeh-Plateau, der in den kommenden zehn Jahren weitere folgen sollten.4
Schoch konnte keine andere Erklärung für das vertikale Wellenprofil der Sphinx und ihrer Umfassungsmauer – auffällige senkrechte Spalten, die sich entlang der Fugen und Risse im Gestein finden und die gesamte Diffusionsfront durchziehen – finden als die augenfällige: herabfließendes Wasser. Und da die Erosionsspuren auch auf dem Rücken der Sphinx zu sehen sind, müssen diese von Regenfällen verursacht worden sein. Die jüngsten ununterbrochenen Niederschläge auf dem Gizeh-Plateau, die zu solch starken Erosionen geführt haben könnten, gab es in der sogenannten „Nabta-Regenzeit“, einer Periode mit relativ intensiven Regenfällen, die grob geschätzt zwischen 10000 und 3000 v. Chr. anzusiedeln ist.
Im Frühjahr 1991 untersuchten Dr. Schoch und der Seismologe Dr. Thomas L. Dobecki mit Erlaubnis der ägyptischen Altertumsbehörde den Untergrund der Sphinx mittels niederenergetischer Refraktionsseismik, um die Wasserverwitterungen unter der Oberfläche festzustellen.
Laut Gauris Klassifizierungssystem für die verschiedenen Härtegrade der Kalksteinschichten hat der Untergrund des Sphinxareals durchweg denselben Härtegrad, den er als „Rosetau-Schicht“ beziehungsweise „Schicht I“ bezeichnete. Schochs und Dobeckis refraktionsseismische Messungen zeigten nun aber, dass die Wasserverwitterungen um den Kopf und die Seiten der Sphinx bis in eine Tiefe von 1,8 bis 2,5 Metern, auf der Westseite des Rumpfes jedoch nur 1,2 Meter tief reichten. Die Südmauer der Sphinxgrube verläuft parallel zum Aufweg, allerdings befindet sich an der Stelle, an der sie in die Westmauer mündet, ein Absatz von etwa 3,5 Metern Höhe zum Boden der Anlage. Schoch gestand ein, dass die Linie, an der sie ihre Messungen tätigten, sehr nahe an diesem Absatz verlief und er gerne weitere Messungen in nächster Nähe zur Rückseite der Sphinx vornehmen würde. Den bis dahin gewonnenen Daten zufolge musste die Rückseite der Sphinx später aus dem Fels gehauen worden sein als die Front.
Die Wasserdurchdringungsrate ist nicht linear; je tiefer die Verwitterungen in den Untergrund reichen, desto besser ist er vor äußeren Einflüssen geschützt. Demzufolge vermutete Schoch, dass um 2.500 v. Chr., als Chephren die Sphinx restaurieren ließ, entweder der schmale Gang an der Westseite der Anlage verbreitert oder der hintere Rumpf der Sphinx überhaupt erst aus dem Fels gehauen wurde. Davor hätte der noch unbearbeitete Fels als Podest für die ursprüngliche Statue gedient haben können. Anhand der höheren Durchdringungsrate an der Vorderseite berechnete Schoch, dass die Ur-Sphinx – sollte Chephren wirklich die Renovierungsarbeiten an der Rückseite vorgenommen haben – mindestens 7.000 Jahre, wenn nicht weitaus älter sein musste.
Schoch wies auch darauf hin, dass der Großteil der Erosions- und Verwitterungsspuren an der Sphinx noch vor 1.400 v. Chr. – als sie zur Zeit des Neuen Reichs instandgesetzt wurde – entstanden sein musste. Zudem warf er Lehner vor, bewusst seine eigenen Daten übergangen zu haben, und zitierte ihn folgendermaßen:
„Um mit den bekannten historischen Fakten im Einklang zu sein […] sollten wir wohl davon ausgehen, dass die frühesten Instandsetzungsarbeiten zur Zeit des Neuen Reichs stattgefunden haben.“6
Den vollständigen Artikel finden Sie in Ausgabe 62.