NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/das-kornkreisjahr-2019-eine-geografische-verlagerung
Das Jahr 2019 brachte zwar nicht allzu viele Kornkreise hervor, doch diese zeigten sich mysteriöserweise vermehrt in Frankreich, obwohl auch das traditionelle englische Kernland – und nicht nur dieses – mit faszinierenden, ausgeklügelten Designs aufwarten konnte.
Jedes Jahr treten sie in Erscheinung, jedes Jahr führen sie zum Streit und jedes Jahr lösen sie Ehrfurcht, Meinungsverschiedenheiten und tiefschürfende Debatten aus. Trotz alledem werden Kornkreise weitgehend von einer Welt ignoriert, die grenzwissenschaftliche Betrachtungen für Zeitverschwendung hält. Als dauerhafte Bestandteile der Landschaft manifestieren sie sich aus unerfindlichen Gründen hauptsächlich in England, wo sie unvermindert gedeihen, auch angesichts aktiver Opposition oder schlichter Gleichgültigkeit.
In einer Welt, in der offene Internetzensur herrscht und 2019 nochmals enorm verstärkt wurde, versucht man derzeit, eine Reihe von wichtigen „unorthodoxen“ Themen in der Versenkung verschwinden zu lassen – in der Hoffnung, sie damit vor künftigen Generationen verbergen zu können. Die jahrzehntelang mit Methode betriebenen Bemühungen, das Interesse an Kornkreisen erlahmen zu lassen, können möglicherweise als Testlauf für die heutigen „Säuberungen“ verstanden werden.
Wenn es mit wilden Bloßstellungen nicht gelingen wollte, wissensdurstige Geister abzuschrecken, konnte man als Plan B das Phänomen immer noch dem Blick der Öffentlichkeit entziehen. Daher werden viele Menschen, die es schon seit Jahren verschwunden glaubten, erstaunt feststellen, dass das Gegenteil der Fall ist.
Wenn im Zeitalter der Massenkommunikation sogar potenzielle Top-Meldungen von den Mainstreammedien regelmäßig unter den Teppich gekehrt werden, sollten wir uns nicht wundern, dass es auch diesem Mysterium so ergeht. Schließlich würde es unser Weltbild gehörig durchrütteln, ließe sich nur in einigen wenigen Fällen beweisen, dass nicht nur menschliche Künstler dabei ihre Hand im Spiel haben (wobei viele halten den Beweis für bereits erbracht halten). Glücklicherweise werden die außergewöhnlichen Formationen, die sich da auf der Leinwand der von uns konsumierten Nahrung ausbreiten, von denjenigen, die über den Tellerrand hinausblicken, nach wie vor für die Nachwelt dokumentiert.
Obwohl wir in diesem Jahr, wie wir gleich noch sehen werden, eine geografische Verlagerung der Kornkreisaktivitäten erlebten, steht England nach wie vor im Mittelpunkt des Geschehens. Dort gab es am 2. Februar eines von zwei auf eisigen Medien platzierten Symbolen: die komplexe, stilisierte Einprägung einer Eule im Schnee in der Nähe der altbekannten Kornkreisstätte Roundway, Wiltshire. (Das andere entstand am 12. April auf dem vereisten Qinghai-See in China und stellte eine bemerkenswerte, schalttafelartige Anordnung dar.) Ansonsten ließen die charakteristischen Ereignisse bis zum 22. Mai auf sich warten. Das erste Muster trat in der Nähe der durch seine Ufo-Geschichte bekannt gewordenen Stadt Warminster, Wiltshire, auf. Es handelte sich um eine Doppelringstruktur mit zwei zusätzlich übereinandergelegten Kreisen, ein einfaches, scharf gestochenes und angenehmes Design. Als Nächstes wartete Cirencester, Gloucesterhire, am 25. Mai mit zwei bescheidenen, aber locker wirkenden Mustern auf, einem aus kleinen Kreisen zusammengesetzten Halbmond neben einer Darstellung, die auf den ersten Blick wie ein Diamantring wirkte. Der Mai bescherte Chilton Candover, Hampshire, zwei neue Muster: am 26. Mai eine leicht unregelmäßige sechseckige, von einem Ring umgebene Blüte und am Tag danach eine komplexe Dreiecksstruktur aus Linien und Kreisen, die sich an einem merkwürdigerweise nicht bekannt gegebenen Ort zeigte (später mehr zu diesem Trend). Hampshire, das immer wieder im Zentrum des Phänomens stand, erlebte anschließend einige äußerst ereignisreiche Wochen.
Den ersten Blickfang lieferte am 3. Juni Littleton, Hampshire, mit einer komplexen dreiteiligen Anordnung aus sich überschneidenden Kreisen – ein klares, attraktives Bild. Ein weiteres markantes Design zeigte sich am 11. Juni in Owslebury, Hampshire: ein achtgliedriges Mandala aus geschwungenen Sägezähnen (von einigen mit dem Namen „Wasserrad“ betitelt) in einem zarten runden Rahmen. Die erhobenen, gefederten Gerstenähren verliehen dem Ganzen eine ansprechende Optik, wenn man es von oben betrachtete.
Die Formation, die zur Sommersonnenwende am 21. Juni in Netherene-on-the-Hill in Surrey auftrat, griff ein immer wiederkehrendes Thema auf: eine Insektensymbolik. Bereits 1991 wurden Piktogramme mit insektenartigen Fühlern versehen, später entwickelten sich daraus immer deutlichere Abbildungen von verschiedenen Insektenarten. Diese neueste Formation in ungewöhnlichem Design zeigte eindeutig eine Ameise, die aus einem Loch zu krabbeln schien. Das ringförmige Loch wies ein deutliches Korbflechtmuster auf, die Ameise selbst wurde mit dünnen Linien skizziert. In dieser Region war schon einmal eine Lebensform aufgetaucht – das spektakuläre Gesicht eines Außerirdischen 2016 –, doch nunmehr handelte es sich das erste Mal um ein Insekt. Vielleicht eine Ökobotschaft in einem Sommer, in dem sich die Proteste der Gruppe Extinction Rebellion auf das ganze Land ausdehnten? Das Logo eben dieser Gruppe erschien schließlich am 26. Juli in einem Feld in Malmesbury, Wiltshire. Es war als ein von Menschen geschaffenes Kunstwerk für das WOMAD-Festival in Auftrag gegeben worden, das in der Nähe stattfand. (Das war eine der bekannten Auftragsarbeiten in diesem Sommer; die andere war ein plumpes Blumenmuster für eine chinesische Fernsehstation in Woodborough Hill in der Nähe von Pewsey, Wiltshire, am 14. Juli.)
Bishops Sutton, Hampshire, erhielt am 29. Juni ein einfaches umringtes Kreismotiv mit zwei den Kreis überlagernden kleineren Kreisen, das gewisse Ähnlichkeiten mit dem davor in Warminster erschienenen Design aufwies. Damit endete ein ruhiger Juni in England, während die Ereignisse in Frankreich richtig Fahrt aufnahmen (siehe unten).
Das präzise ausgeführte, auffallende Motiv, das am 1. Juli in Danebury Hillfort in Wiltshire auftrat, griff ein anderes bekanntes Thema auf. Es zeigte vier segmentierte Pentagramme aus perspektivischer Sicht, so als wären sie auf eine Kugel gespannt, die von einem feinen runden Doppelrahmen umgeben war. Die örtliche Zeitung Andover Advertiser veröffentlichte eine in der Tat einzigartige Werbung für diese Formation im Getreidefeld. Sie berichtete über die Core Group Initiative, die in den letzten Jahren wertvolle Brücken zwischen Landwirten und Besuchern schlagen und der Öffentlichkeit regelmäßig zumindest zu einigen Fundorten Zugang verschaffen konnte – und das angesichts einer eher ablehnend eingestellten Bauernschaft. Ein weiterer Segen für die Recherchebemühungen war, dass in diesem Sommer die Kornkreis-Ausstellung mit Informationszentrum im Honeystreet Mill Café in der Nähe von Alton Barnes in Wiltshire ein dauerhaftes Zuhause finden konnte. Diese Gegend, in der im Lauf der Jahre so viele Formationen auftraten, bietet sich als Treffpunkt für Suchende geradezu an.
Am 3. Juli wurde eine andere alte Ringfestung in Wiltshire namens Yarnbury Castle in der Nähe von Steeple Langford mit einer riesengroßen, ungewöhnlichen Ringformation bedacht. Von einer Hälfte ihres Umkreises gingen Linien und kleine Kreise ab, während sich in der Mitte eine zentrale Achse ähnlichen Stils befand. Daneben gab es noch einen weiteren kleinen Kreis mit „geriffelter“ Struktur und einem kleinen erhabenen Kreis in der Mitte. Einem Hügel aus neuerer Zeit wurde am 8. Juli ein Besuch abgestattet, als das örtliche Denkmal oben auf dem Farley Mount in der Nähe von Winchester, Hampshire, Gesellschaft in Form eines komplexen Mosaiks aus fragmentierten Teilen erhielt, die sich zu einem in alle vier Richtungen verlaufenden Motiv anordneten und an Wellen in einem Teich erinnerten. Das nächste Muster, das sich am 16. Juli in Tichborne, Hampshire, präsentierte, führte das Fragmentierungsthema in geordneterer Form weiter. Es zeigte einen von einer Ringstruktur umgebenen Kubus, der an drei Seiten aus dünnen, präzise geformten Dreiecken zu bestehen schien und damit eines der eindrucksvollsten Designs der Saison lieferte.
Am 20. Juli erschien ein gestochen scharfes zwölfkantiges Rad aus schiefgestellten Scherben, das an ein abstraktes Sonnensymbol erinnerte und nicht weit von dem berühmten Scharrbild eines weißen Pferdes in Westbury, Wiltshire, also in einer weiteren traditionellen Kornkreisregion, auftrat. Am 23. Juli folgte in Pepperbox Hill, West Grimstead, Wiltshire, ein noch auffälligeres Design, das ebenfalls an alten Sonnensymbolismus erinnerte. Sechs wellige Arme in dreifacher Strichführung anstelle von breitflächig umgelegten Getreideähren formten sich, trotz der anscheinenden Einfachheit, zu einem ausgeklügelten Bild, das man zu den Favoriten der Saison zählen kann.
Die leichte Ähnlichkeit mit der berühmten „Bänderformation“, die 2002 in Stonehenge aufgetreten war, blieb durchaus nicht unbemerkt. Dem Muster lag jedoch ein Geheimnis zugrunde. Es stellte sich nämlich heraus, dass bereits vorher, am 10. Juli, eine fünfarmige, aber ansonsten fast identische Version an einer nicht öffentlich bekannt gegebenen Stelle aufgetreten war. Das kam erst ans Licht, als offen über die Nachfolgeformation berichtet wurde. Am 6. Juli gab es eine Formation, die ein von einem Strahlenkranz umgebenes Gesicht eines Außerirdischen zeigte. Darüber berichteten die meisten Onlineplattformen allerdings nicht oder sie verschwiegen die Fundstelle. Die Thematik verschwiegener Formationen und nicht offengelegter Fundorte (vermutlich eine von den entsprechenden Kornkreis-Websites vereinbarte Taktik, um die betroffenen Landwirte bei Laune zu halten) wird von denen, die an Informationsfreiheit glauben, zunehmend kritisiert und stellt in einem Zeitalter, das von einer schleichend wachsenden Zensur gekennzeichnet ist, ein unangenehmes Dilemma dar. Könnte dies nicht letztlich dazu führen, dass man über Kornkreise nicht mehr zum Zeitpunkt ihres Auftretens berichtet und sie damit immer weiter dem Blick der Öffentlichkeit entzieht?
Das Mandala, das am 28. Juli in Barton Stacey, Hampshire, erschien, markierte eine Rückkehr zum „fragmentierten“ Stil. Die Formation zeigte eine Struktur aus einem ungewöhnlichen Dreieck und Blöcken, die wie Bauklötze aussahen (so wirkten sie optisch, wenn man sie als dreidimensional betrachtete). Dieses Dreieck war gegen ein weiteres Dreieck abgesetzt, das ein Sechseck überlagerte. Trotz der schlampigen Ausführung vermochte das ehrgeizige Design zu überzeugen. Im Gegensatz dazu war ein anderes Motiv, das am selben Tag in Warminster in der Nähe des berühmten Wahrzeichens Cley Hill (ein Lieblingsort des Kornkreisphänomens) auftrat, ein Meisterwerk an Präzision. Ein breiter Ring mit markantem Korbflechtmuster umgab drei brillant ausgeführte Kreise von abnehmender Größe und einen Halbmond, wobei im Zentrum zweier Kreise noch verschlungene Getreidehalme aufrecht standen. Besonders ansprechend war der große Kreis. Für dessen Gestaltung wurde eine altbekannte, aber zunehmend beliebte Technik eingesetzt, die darin besteht, radial ausgelegte Getreidehalme zu einem Band zu formen, um damit dem Hintergrundwirbel eine faszinierende Textur zu verleihen.
Das oft zitierte große Finale einer Kornkreissaison ist weitgehend ein Mythos. Die Leute betonen nur die letzten Formationen, von denen sie beeindruckt waren, und ignorieren oft die wenigen, die in den letzten Tagen vor der Ernte noch auftreten. Die meisten Abschlussformationen, die England 2019 beschert wurden, wiesen jedoch eine bemerkenswerte Qualität auf.
Am 4. August zeigte sich in Tufton, Hampshire, ein ausgeklügeltes sechseckiges Mandala mit vier inneren Bändern aus immer enger zusammenlaufenden, geschwungenen Dreiecken. Am 11. August erhielt Preston Candover, Hampshire, offenbar eine umfassende Lektion über Geometrie mit Kreisen, einem Quadrat und einem Dreieck, die weitgehend in einem Korbflechtmuster ausgeführt waren. Die dünnen erhabenen Linien, aus denen sich die Formation zum Teil zusammensetzte, und die abgeflachten Ecken des ansonsten erhabenen Dreiecks in der Mitte machten dieses Bild äußerst ansprechend und verliehen ihm fast das Flair eines Logos. Am 18. August tauchte in Uffington, Oxfordshire (dem Fundort einer weit berühmteren Ritzung, die ebenfalls ein weißes Pferd zeigt), ein weiteres Dreieck auf – oder besser gesagt eine Speerspitze mit abgerundeten Ecken, umgeben von kleinen Kreisen. Die vorletzte Formation des Sommers, die sich am 20. August in Etchilhampton, Wiltshire, präsentierte, zeigte ein attraktives, präzise ausgeführtes Mandala aus ineinander verschachtelten Kreisen, umgeben von einem Kreis mit Glyphen, die an Maya-Muster erinnerten.
Das letzte Ereignis in England bis zur Niederschrift dieses Artikels taugte zwar nicht unbedingt als unvergessliches großes Finale, brachte aber dennoch eine ordentliche Formation hervor, die eine durchaus eindrucksvolle Saison ausklingen ließ. Sie zeigte ein Emblem aus drei erhabenen Halbmonden, dekoriert mit kleinen Kreisen und geraden Linien. Das Ganze war umgeben von einer im Korbflechtmuster ausgeführten Umrandung. Damit endete ein weiterer Sommer grafischer Darstellungen auf südenglischen Getreidefeldern, in dem etablierte Genres mit frischen Ideen erweitert wurden.
Wenngleich sich die Aufmerksamkeit nach wie vor auf England richtet, lässt sich doch feststellen, dass sich das Kornkreisphänomen geografisch ausgeweitet hat. In den letzten Jahren war die Aktivität weltweit etwas zurückgegangen, während England vergleichsweise stabil geblieben war. Doch 2019 sah es eine Zeit lang so aus, als dürfte sich ein anderes Land die Krone aufsetzen, was die Zahl der Erscheinungen anbelangt. Bereits früher waren Formationen in Frankreich aufgetaucht, doch trotz all der heiligen Stätten (wie Carnac) und ausgedehnten Felder des Landes – Eigenschaften, die einigen zufolge der Grund dafür sind, warum England traditionell im Zentrum des Phänomens steht – war es nie ein Brennpunkt von Kornkreisaktivitäten gewesen. Doch dieses Jahr erlebten die französischen Felder eine Häufung von stilsicheren Formationen.
Zum Auftakt zeigte sich am 1. Juni in Moisselles, Val-d’Oise, ein erstaunliches Piktogramm aus einer Reihe von Halbmonden und Kreisen in verschiedenen Größen. Jeder Kreis wies ein kleines erhabenes Zentrum auf. Das Muster schien ein Kruzifix aus Bäumen zu ergänzen, das auf dem Gelände der nahe gelegenen katholischen Kirche gepflanzt worden war. Das nächste Ereignis am 13. Juni zeigte Ähnlichkeiten mit dem Vorgängerbild, wenngleich die dargestellten Ringe und Halbkreise dünner waren. Allerdings trat es viel weiter östlich auf, nämlich in Saint-Hippolyte, Haut-Rhin. Diese lebhafte und sehr lange Formation, die sich insgesamt über 200 Meter erstreckte (was sie zur größten Erscheinung dieses Jahres machte), setzte sich tatsächlich aus zwei unterschiedlichen Komponenten zusammen. Eine dritte unverbundene Komponente zeigte sich auf einem dritten Feld.
Am 14. Juni waren zwei ganz unterschiedliche Regionen betroffen. Ein kleineres Muster in Giéville, Manche, in der Normandie zeigte ein beeindruckendes Arrangement von mehreren aufgereihten Kreisen und Halbmonden und zwei geschwungene Arme mit weiteren Kreisen. Am gleichen Tag erschien in Menetou-Salon, Centre-Val de Loire, ein leicht verschwommenes Motiv aus Ringen, Kreisen und Halbkreisen (allerdings weist einiges darauf hin, dass es schon eine Weile vorher da war).
Ein ausgefeiltes, zwar kleines, aber wiederum ziemlich eindrucksvolles Sechseck aus Blütenblättern der „Blume des Lebens“ wurde am 17. Juni ebenfalls im Osten, und zwar in Saint-Jean-de-Bassel, Moselle, entdeckt, womit sich die Tendenz zur geografischen Streuung weiter fortsetzte. Inspiriert von der neuerdings explodierenden grafischen Kreativität in ihrem Land schuf eine Gruppe von Studenten am nächsten Tag ein eigenes Piktogramm in Blaesheim, Bas-Rhin, in der Nähe von Straßburg.
Mit einem sechsarmigen Schneeflockenmuster in der Nähe von Parçay-Meslay, Indre-et-Loire, dessen Arme aus komplexen Strukturen von Kreisen verschiedener Größen bestanden und dessen Zentrum ein Kleeblatt zierte, kehrte am 26. Juni die Qualität zurück. Zwei Tage später sprang das Phänomen auf Lidon in der Nähe von Chauvigny, Vienne, über und präsentierte sich als eine Anordnung von petroglyphenartigen Gruppierungen von Kreisen, Linien und Ringen und in der Nähe entstandenen kleineren Ringen, die von merkwürdig mäandernden Linien durchzogen waren. Am 29. Juni hatte die Kornkreistour ein neues Ziel erreicht: Saulx-Marchais, Yvelines. Dieses Mal zeigte sich eine sehr ungewöhnliche s-förmige Fläche, die um eine rückgratähnliche Linie aus Kreisen und Halbkreisen gewickelt schien. Am darauffolgenden Tag ging die Reise weiter in die Region Pas-de-Calais, und wieder gab es aneinandergereihte Kreise und Halbkreise mit einem s-förmigen Gebilde in der Mitte zu sehen, ganz in der Nähe der zwei eindrucksvollen Abraumhalden nahe Houdain und Haillicourt. Eine weitere Formation in Nielles-lès-Ardres erinnerte wieder an das erste französische Piktogramm, wies aber zusätzlich einige merkwürdige Formen auf, beispielsweise ein karottenartiges Anhängsel.
Im darauffolgenden Monat setzte sich die Aktivität unvermindert fort und erreichte am 3. Juli sowohl Pouilloux, Saône-et-Loire, mit einem kompakten Muster der üblichen Art von bescheidener Größe, als auch Louans, Indre-et-Loire, mit aufgereihten Kreisen und einem kleinen Sägeblattmotiv in der Mitte. Sundhoffen, Haut-Rhin, fügte dem am 7. Juli eine eigene thematische Variante hinzu, dieses Mal mit einem ungewöhnlichen ovalen „Auge“ an einem Ende. Das vielleicht ungewöhnlichste Design unter den französischen Erscheinungen präsentierte sich am 16. Juli in Auchy-les-Mines, Pas-de-Calais. Um ein diamantenförmiges Zentrum gruppierten sich vier geschwungene „Flügel“ oder Segel, jeweils geteilt durch Flächen umgelegter Halme, die auf eine zentrale Achse zeigten und einen schönen Effekt erzeugten. Der gleiche Tag brachte in Treuzy-Levelay, Seine-et-Marne, eine Variante des klassischen Yin-Yang-Symbols hervor, das statt des geschlossenen Rings weiterführende Arme aus anwachsenden Kreisen besaß. Vielleicht lag darin eine abschließende Botschaft, die ein außergewöhnliches Jahr zum Abschluss brachte – für ein Land, das nie zuvor eine so reiche Entfaltung des Phänomens erfahren hatte.
Warum jetzt? War der neue Schwerpunkt ein ironischer Seitenhieb wegen des chaotischen Brexit-Prozesses, den England erlebt, und wegen des möglichen Zerfalls des europäischen Projekts? Wenn ja, warum gab es dann in diesem Jahr keine Formation in Deutschland? Oder hatte die geografische Verlagerung mit veränderten Erdenergien zu tun? Manifestierte sich hier ein Phänomen des Gruppenbewusstseins, das in einem Land, das Anfang des Jahres von den Protesten der Gelbwesten-Bewegung aufgerüttelt worden war, etwas Dampf abließ? Auch mit ihrer breiteren geografischen Streuung wichen die Formationen von denen in England ab, wo tendenziell offenbar bestimmte Regionen bevorzugt werden. Wie auch immer die Antwort lauten mag, es war interessant zu beobachten, wie in Frankreich Forscher und Presse in einem einzigen Sommer einige der Stadien von Faszination, gesteigertem Interesse, Meinungsverschiedenheiten, Leugnung und Skepsis durchliefen, für die England Jahre gebraucht hatte. Erstaunlicherweise entnahmen manche lokale Reporter einige grundlegende Fakten über Kornkreise ganz einfach aus der Wikipedia, einer Quelle, die sich für dieses Thema als notorisch unzuverlässig erwiesen hat. Damit zeigte sich einmal mehr, dass menschliches Wissen allzu oft nicht auf verlässlichen Ansichten von historischer Tiefe beruht, sondern auf voreingenommenem Hörensagen, das man den neuen Generationen oktroyiert.
Auch in anderen Ländern zeigten sich 2019 Kunstwerke in Getreidefeldern, vier davon in der Schweiz. Zwei wurden zu Anfang des Sommers aus so großer Höhe gefilmt, dass sich keine Details erkennen ließen, ein Motiv in Zollikofen zeigte ein Mandala mit floralem Zentrum, und eines in Neuenegg präsentierte einen dicken Ring mit unregelmäßigen erhabenen Flächen im Innern. Am 1. Juli erregte in Büren an der Aare, Bern, eine komplexe sechsgliedrige Blume, die wie ein Rosettenfenster wirkte, die Aufmerksamkeit, und am 23. Juni erschien in Lüsslingen, Thun, ein kleines, aber hübsches dreigeteiltes, kleeblattähnliches Design.
In Italien traten drei Formationen auf. Am 25. Mai erschien in Osimo, Ancona, eine sechsgliedrige Blume aus dünnen Linien, und in geringer Entfernung in Padiglione konnte man eine bizarr geschwungene Hantel mit merkwürdigen Proportionen sehen. Die dritte Formation, die am 30. Juni in Poirino, Piemont, auftauchte, gehörte einer ganz anderen Liga an. Sie erinnerte an die Muster, die hier im Laufe der Jahre immer wieder erschienen waren, und stellte eine große, fein ausgearbeitete siebengliedrige Blume dar. (Manche haben dieses Bild offen als das Werk des Künstlers Francesco Grassi bezeichnet.) Auch die Felder der Niederlande brachten drei Formationen hervor – also weniger als in den Jahren davor. Sie alle waren klein, relativ einfach und in dem lokalen „naiven“ Stil gehalten, den Forscher heute berechtigter- oder unberechtigterweise grundsätzlich nicht anerkennen.
Im Gegensatz zu den USA, in denen die Kornkreisaktivitäten offenbar zum Erliegen kamen, brachte Russland zwei Formationen hervor. Eine zeigte ein ansprechendes Piktogramm aus dünnen Linien und Kreisen, das man am 19. Juni im Fastowezkaja, Krasnodar, fand, und eine zweite in Form einer doppelten „Schriftrolle“ mit einem etwas davon entfernten kleineren Kreis erschien am 23. Juni in Sokolowskoje, Krasnodar. Polen konnte mit einem einzigen Motiv aufwarten, einer gut konzipierten Variante des Yin-Yang-Themas, umkreist von einem Satelliten, die sich am 29. Juni in Wolka Orchowska, Wielkopolska, präsentierte. Und auch der Tschechischen Republik wurde am 5. Juli an einem nicht bekannt gegebenen Ort eine Ansammlung von petroglyphenähnlichen Symbolen zuteil.
Mit 25 Formationen behält England eindeutig seine Position als traditionelles Zentrum des Phänomens, dicht gefolgt von Frankreich mit 15 Formationen. Man darf gespannt sein, ob der dort eingekehrte Einfallsreichtum ein neues stabiles Zentrum bilden oder wieder in Vergessenheit geraten wird. Mit nur 14 Formationen bleiben im Rest der Welt die Ereignisse sporadisch, auch wenn einige Orte florieren.
Nach wie vor sind wir weit davon entfernt, über dieses rätselhafte Phänomen abschließende Schlussfolgerungen treffen zu können. Irgendwie ist es nie richtig greifbar, nie konkret zu erfassen und gerade deshalb so ansprechend und faszinierend. Fest steht nur eines: Diese merkwürdigen, wunderschönen Gebilde sorgen weiterhin für Inspiration und Frustration und regen zu tiefschürfenden Überlegungen an – und das in einer Zeit, in der man die Menschen unbedingt davon abbringen will, Fragen zu stellen und unkonventionell zu denken. Das alleine dient als hinreichende Rechtfertigung für die beharrliche Existenz der Kornkreise. Lange mögen sie leben!