NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/blackrocks-aladdin-digitaler-drahtzieher-der-maerkte
Was, wenn ich Ihnen erzählen würde, dass es ein Computerprogramm gibt, das mehr Reichtum kontrolliert als jedes andere Land auf der Welt? Ein so mächtiges Programm, dass es im Lauf der vergangenen zehn Jahre unbemerkt das größte Unternehmen der Welt mitgeschaffen hat? Dies ist die Geschichte eines Programms namens „Aladdin“. Es ist das bestgehütete Geheimnis der Wall Street und schluckt Vermögenswerte jeder Größenordnung über alle Branchen hinweg.
Aladdin verwaltet weltweit mittlerweile Vermögen im Wert von 21 Billionen Dollar. Um das anschaulich zu machen: Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt der USA von 20 Billionen Dollar oder die 15 Billionen Dollar BIP der gesamten Europäischen Union.
Der New Statesman schrieb, dass das gesamte physische Bargeld in der Welt – das aller sieben Milliarden Menschen, das in Banktresoren, Brieftaschen und Sparschweinen existiert – etwa fünf Billionen Dollar beträgt.
Aladdin hat sich also zu einem System entwickelt, das Vermögenswerte verwaltet, die mehr als viermal so viel wert sind wie alles Bargeld auf der Welt. Dieses eine Computerprogramm bestimmt die Aktivitäten der US-Notenbank, nahezu jeder wichtigen Bank und jedes großen Investmentfonds an der Wall Street und der über 17.000 Börsenhändler. Es kontrolliert die Hälfte aller börsengehandelten Fonds (ETFs), 17 Prozent des Rentenmarktes, 10 Prozent des weltweiten Aktienmarktes, führt jeden Tag eine Viertelmillion Trades durch und erstellt in jeder Woche Milliarden von Vorausberechnungen. Jahr für Jahr saugt es Billionen von Daten über sämtliche Märkte, alle Unternehmen und jedes Vermögen auf – und nun auch über jeden von uns: was wir kaufen, verkaufen und sagen. Somit weiß Aladdin viel besser als jeder Mensch, was man kaufen und was man verkaufen sollte.
Alle großen Banken, Unternehmen und Investmentfonds verlassen sich mittlerweile auf dieses Programm, seine hoch entwickelte künstliche Intelligenz mit ihren Algorithmen, um am Markt gut abzuschneiden; andernfalls wären sie schon auf der Strecke geblieben.
Und wissen Sie, was das Verrückteste an der Sache ist? Der Bot – so werden solche Programme im Fachjargon genannt – legt nun erst richtig los!
Woher also kommt Aladdin und wie wurde dieses Programm so mächtig?
Aladdin ist das Geistesprodukt von Larry Fink, dem Gründer der Investmentgesellschaft BlackRock. Die Dominanz dieses Computerprogramms hat BlackRock zur größten Schattenbank der Welt und dem mächtigsten Unternehmen auf Erden gemacht.
Diese Geschichte beginnt in den 1980er-Jahren, als Larry Fink Millionen damit verdiente, dass er für die Wall-Street-Bank First Boston als einer der ersten mit hypothekenbesicherten Wertpapieren handelte. Richtig, genau dieselben Hypothekengeschäfte, die im Jahr 2008 die weltweite Finanzkrise auslösten, doch damals gab es zwischen ihm und Lewis Ranieri von Salomon Brothers eine Wall-Street-Rivalität monumentalen Ausmaßes. Letzterer gelangte in Michael Lewis’ Buch „Liar’s Poker“ als Big Swinging Dick zu zweifelhaftem Ruhm.
Damals machte Larry Millionen für die Bank und war auf dem Weg, Geschäftsführer von First Boston zu werden. Doch dann führte im Jahr 1986 ein Fehler in den Computermodellen dazu, dass er falsche Entscheidungen traf und die Bank 100 Millionen Dollar verlor. Larry musste als Versager gehen und der dumme Computer war schuld daran.
Nach dieser Erfahrung hatte er nur noch ein Ziel: einen superintelligenten Bot zu entwickeln, der Risiken und Chancen am Markt besser erkennen kann, als irgendein anderer Computer oder Mensch es könnte.
1988 gründete er ein Start-up, BlackRock, mit einem kleinen Team von Programmierern, um ein solches Computerprogramm zu erschaffen. Er nannte es Aladdin, ein Akronym für Asset Liability and Debt and Derivative Investment Network.
Während der ersten zehn Jahre seiner Existenz wurde Aladdin mit jeder verfügbaren Information über Veränderungen in den Vermögenswerten und Risikovariablen im globalen Rentenmarkt gefüttert – Larrys Spezialgebiet. In seinem elften Lebensjahr, im Jahr 1999, war Aladdin so gut darin, Gewinner und Verlierer zu identifizieren, dass Larry damit begann, Zugriff auf seine Daten an andere Wall-Street-Unternehmen zu verkaufen, und im selben Jahr brachte er auch BlackRock an die New Yorker Börse. Gleich nach dem Börsengang platzte die Dotcom-Blase und ein gewaltiger Geldstrom floss aus dem Aktienmarkt in den Rentenmarkt – und genau da war Aladdin die unangefochtene Nummer eins in der Welt.
Innerhalb weniger Jahre wurde BlackRock zu einem Billionen Dollar schweren Unternehmen, und als das Geld wieder in den Aktienmarkt zurückfloss – was tat Larry da? Er kaufte die Vermögensverwaltungsabteilung von Merrill Lynch, die auf Aktienhandel spezialisiert war. Das war das Geschenk für den Bot zu seinem 18. Geburtstag: detaillierte Daten über den gesamten Aktienmarkt – und plötzlich hatte Aladdin einen neuen Spielplatz, auf dem er jeden Aktienhandel und jeden Risikofaktor für jedes Unternehmen auf dem Aktienmarkt analysieren konnte.
Das hat dazu geführt, dass BlackRock und seine beiden größten Rivalen, Vanguard und State Street, die beide ebenfalls auf Aladdins gewaltiges Wissen vertrauen, zusammen die größten Aktionäre von über 40 Prozent aller börsennotierten Unternehmen in Amerika sind.
Als dann 2008 die globale Finanzkrise ausbrach, wurde Aladdins Hilfe von jeder Wall-Street-Bank und auch von Timothy Geithner, damals US-Finanzminister und Chef der US-Notenbank von New York, in Anspruch genommen, noch bevor der Bot 21 Jahre alt war. Mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und dem Beginn des Wall-Street-Crashs wurden Forderungen der US-Regierung laut, die nächste kollabierende Bank, Bear Stearns, zu retten. Es war Aladdin, der entschied, welche Vermögenswerte im Rahmen des 30 Milliarden Dollar umfassenden Rettungspaketes gehalten und welche veräußert wurden – und nur wenige Menschen wissen, dass ein Computerprogramm Amerika vor einer Katastrophe bewahrt hat.
Nach diesem ersten Erfolg begannen die US-Notenbank, die US-Regierung und nun auch die europäische und die japanische Zentralbank, sich auf Aladdin zu verlassen, wenn Entscheidungen zu treffen waren, wofür die 2,5 Billionen Dollar neu gedruckten Geldes eingesetzt werden sollten. Meist waren es Rentenpapiere und finanzielle Mittel für Hypothekeninstitute und Banken. Doch Moment mal, sind das nicht genau die Geschäftsfelder, in denen Aladdin und BlackRock bereits tätig waren? Exakt! Aber anfängliche Proteste über Interessenskonflikte wurden durch den Lärm der Notenpressen übertönt, die immer mehr Geld druckten, während das von Aladdin verwaltete Vermögen bis 2013 auf elf Billionen Dollar anwuchs. Während der vergangenen zehn Jahre ist Aladdin vom Marktführer zum Beherrscher aller Finanzmärkte geworden. Mit dem Aufkauf von Barclays erwarb BlackRock iShares, Barclays’ Sparte für börsengehandelte Fonds (ETFs). Damit wurde Aladdin auch noch zum Beherrscher der börsengehandelten Fonds, genau zu dem Zeitpunkt, als alle großen Investoren von offenen Investmentfonds zu börsennotierten Indexfonds (ETFs) wechselten.
Und dann änderte sich im Jahr 2017 alles.
An Aladdins 29. Geburtstag startete Larry ein streng geheimes Projekt bei BlackRock mit dem Codenamen „Monarch“, das im Ergebnis dazu führte, dass die Fondsmanager entlassen und ihre Fonds durch die von Aladdin ersetzt wurden. Das Computerprogramm verdrängte nun die Menschen – und mittlerweile werden über 70 Prozent aller Aktienkäufe und -verkäufe an US-amerikanischen Börsen von Bots durchgeführt. Aladdin spielt hier natürlich weiterhin die erste Geige.
Diese Trades werden vollständig von Computern durchgeführt, ohne jede menschliche Beteiligung, und das im Hochfrequenzhandel weitaus schneller, als es Menschen tun können.
Nun, wenn das nur eine Geschichte über ein Computerprogramm wäre, das die Arbeit von Börsenmaklern an der Wall Street übernimmt, bräuchte man sich keine Sorgen zu machen, wenn man keiner von ihnen ist. Doch in den vergangenen drei Jahren, als Aladdin die 20-Billionen-Marke knackte, fing der Bot unglaublicherweise an, sich Vermögen noch schneller einzuverleiben.
Zuerst geschah dies im Jahr 2020, als Aladdin 32 Jahre alt wurde. Die US-Regierung und die US-Notenbank fragten um Rat, als die Pandemie ausbrach. Wiederum war es Aladdin, unter dessen Anleitung das Land die neu gedruckten vier Billionen Dollar anlegte.
Wohin floss das Geld dieses Mal? Unerklärlicherweise kaufte die Fed im Jahr 2020 zum ersten Mal ETFs. Nun, das ist ein wenig seltsam … und wieder wurden die Protestrufe wegen Interessenskonflikten durch den Lärm des Gelddruckens übertönt.
Und dann gab Aladdin preis, worum es letztendlich gehen wird.
Kürzlich erwarb BlackRock das Unternehmen eFront, das Daten über all die Dinge sammelt, die wir besitzen, auch außerbörsliches Eigenkapital und Immobilien. Seitdem hat Aladdin eFronts Daten des gesamten weltweiten Immobilienmarktes aufgesogen; und klar, man kann erraten, was als Nächstes passiert ist.
Im Lauf der vergangenen zwei Jahre haben BlackRock und andere Fonds, die Aladdins Daten nutzen, damit begonnen, Einfamilienhäuser aufzukaufen. Sie können es sich leisten, alle anderen Interessenten zu überbieten, da sie unbegrenzte Finanzierungsmöglichkeiten zu extrem niedrigen Zinsen haben. Als Folge davon sind die Preise für Häuser um 20 Prozent gestiegen, und es werden nun sogar große Akteure wie Zillow aus dem Markt gedrängt.
Und hier wird erkennbar, worum es am Ende geht: Aladdin als der eine hyperintelligente Bot, der nicht nur das gesamte Wall-Street-Vermögen verwaltet, sondern alle öffentlichen und privaten Vermögenswerte.
Ich mag zwar Verschwörungstheorien prinzipiell nicht, aber auch ein aufmerksamer Skeptiker kann die Zeichen deuten: Niemand kann es noch mit Aladdin aufnehmen.
Geschäftsführer und Vermögensverwalter wie Anthony Malloy sagen mittlerweile: „Aladdin ist wie Sauerstoff. Ohne ihn würden wir nicht funktionieren.“
Und wie ist es mit staatlicher Regulierung? Nun, Joe Biden hat Brian Deese, einen leitenden Angestellten von BlackRock, als Vorsitzenden des Nationalen Wirtschaftsrates ernannt. Das bedeutet im Grunde, dass die Aufsicht über Aladdin und BlackRock in der Zuständigkeit von BlackRock liegt.
Biden hat des Weiteren BlackRocks Stabschef Wally Adeyemo zum stellvertretenden Finanzminister gemacht, sodass BlackRock nun sowohl eine leitende Funktion im Finanzministerium wahrnimmt als auch die Beraterfunktion innehat.
Doch diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Der Geist ist aus der Flasche. Der Ausbau des Programms hat einen Kipppunkt überschritten und der Bot kontrolliert mehr Reichtum als irgendein Mensch oder Land.
Während nämlich Aladdins künstliche Intelligenz immer weiter zunimmt und der Bot Jahr für Jahr ein bis zwei Billionen Dollar an neuen Vermögenswerten zusätzlich verwaltet, scheint es unausweichlich zu sein, dass die Geheimwaffe der Wall Street am Ende alles besitzt – und wir nichts mehr.
Quelle: R. J. Hamilton, 30.11.2021, https://youtu.be/AWBRldjVzuM