NEXUS Magazin: https://www.nexus-magazin.de/artikel/lesen/arbeit-muss-sich-lohnen-fluechtlinge-waffen-drogen
Christian Stolle
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152 Seiten
ISBN: 978-1-519111-54-8
€ 9,99
Was soll man von einem Büchlein halten, auf dem ein Titel in altdeutscher Frakturschrift prangt, während darunter in Schwarz-Rot-Gold drei Themen skandiert werden, die auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen? Dessen Autor mit seinen zarten 30 Jahren bereits zwölf Berufe angibt, darunter „Gärtner“ und „Hypnotherapeut“, und zu dessen Hobbys unter anderem „Zaubern“ gehört? In dem dann aber auf rund 70 Seiten Text stolze 293 Endnoten aus Quellen enthalten sind, die man guten Gewissens als „seriös“ bezeichnen kann?
Man würde wohl die kognitive Dissonanz wittern und das Werk gar nicht erst zur Hand nehmen – oder eben neugierig werden. Ich gehörte zur letztgenannten Kategorie, zumal mir der Autor schon persönlich aus seinem schillernden Leben erzählt und dazu einen Schwall libertärer Ansichten zum Besten gegeben hat.
Will man nun sein vorliegendes Büchlein bewerten, so muss man zwischen Inhalt und Aufbereitung unterscheiden, scheint mir. Die drei Themenkomplexe „Flüchtlinge“, „Waffen“ und „Drogen“ etwa sind derart konzis abgehandelt, dass man den Text gut und gerne dreimal lesen kann und immer noch Neues entdecken wird. Denn es hagelt Zahlen, Fakten und Originalzitate, dass es nur so kracht – und fast alle mit entsprechenden Quellenbelegen, dass man vor der dahinterstehenden Fleißarbeit nur den Hut ziehen kann.
Vor allem die Originalität der Fakten ist es, die das kleine Werk zu etwas Besonderem macht. Schon im ersten Teil, „Flüchtlinge“, in dem die Entstehung der Migrationsströme nach Europa anhand der westlichen Invasionen in Irak und Libyen nachgezeichnet wird, werden nicht etwa nur olle Kamellen heruntergebetet, sondern zig Tatsachen erwähnt, die auch Stubengeopolitikern wie mir noch unbekannt waren. Dazu zählen beschämende O-Töne aus den Hinterzimmern der US-Regierung genauso wie der Fakt, dass Gaddafi für direktere Demokratie plädierte und den Ölreichtum des Landes unter dem Volk verteilen wollte. Die geplante Einführung des Gold-Dinars durch ihn findet genauso Erwähnung wie sein bizarrer Tod, der von Madame Clinton bespöttelt wurde.
Was dann bei der Darstellung der Migrationswelle nach Europa ins Auge fällt, ist die neutrale Perspektive des Autors: Er zitiert zum Einen die in konservativen Kreisen häufig genannten Probleme: zu starke kulturelle Divergenzen, kriminelle Trittbrettfahrer und eingeschleuste IS-Kämpfer, oder dass bei Delikten mit zweierlei Maß gemessen wird. Zum anderen die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerberheime, aber auch die unhaltbaren religiösen und politischen Situationen in den Herkunftsstaaten, die sich in unserem Land kein Mensch vorstellen kann. Und ständig fällt nebenbei ein interessanter Satz: Wussten Sie zum Beispiel, dass 2014 in der Zentralafrikanischen Republik zehntausende Muslime vor der Verfolgung durch Christen fliehen mussten? Oder dass es 2013 weltweit zu 17.958 Toten durch Terroranschläge kam, während täglich immer noch etwa 21.000 Menschen an den Folgen von Mangelernährung sterben? Oder dass die Bedingungen für syrische Flüchtlinge vor Ort unhaltbar wurden, weil die Hilfszahlungen der UN drastisch gekürzt wurden – und das wiederum an fehlenden Zahlungen aus Europa und den Golfstaaten lag?
Wie kommt man nun aber vom Thema Flüchtlinge auf Waffen und Drogen? Nun, laut Autor könnten die Kosten, die durch die Flüchtlingsströme verursacht werden, durch die Liberalisierung bzw. Legalisierung der entsprechenden Märkte gedeckelt werden, anstatt neue Steuern zu erheben. Beide Teile sind recht lose angeklebt, aber inhaltlich nicht minder interessant. Das Thema privater Waffenbesitz war für mich zum Beispiel bisher ein Denktabu, wie ich feststellen musste, und die Argumentation hat mein striktes pazifistisches Nein zumindest etwas aufgeschlossen. Die Logik ist nicht von der Hand zu weisen: Anhand der Beispiele USA und Schweiz zeigt Stolle – wieder gut belegt – auf, dass die Legalisierung des privaten Waffenbesitzes in „Gesellschaften mit hohem sozialen Kapital“ dazu führt, dass „mehr Morde und Gewaltverbrechen durch Waffen verhindert als begangen“ werden. So werden auch, was Otto Normalbürger nicht wissen dürfte, mehr Amokläufe in den USA verhindert als begangen, und die Quote entspricht dem europäischen Durchschnitt.
Ähnlich liberal steht Stolle dem Thema Drogen gegenüber, allerdings brauchte er mich da nicht bekehren: Eine Legalisierung würde dem Staat Steuer-Mehreinnahmen bei weniger Kriminalität und reineren Substanzen verschaffen – genau wie bei der Prohibition in Amerika sorgt die Illegalität nämlich nicht dafür, dass die Substanzen nicht mehr konsumiert werden, sondern nur für die Kriminalisierung der Konsumenten und einen blühenden Schwarzmarkt.
Was ist nun von dem kleinen Buch zu halten? Wie gesagt: an Inhalt mangelt es ihm keineswegs – allein mit dem Studium der vielen interessanten Verweise kann man ein gutes halbes Jahr verbringen. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann wohl die Stoßrichtung. Immer wieder driftet Stolle ab, klaubt Informationen von hier und da zusammen, die stellenweise recht lose assoziiert sind. Maßgeblich war für mich hier eine Passage, in der er beim Thema „Flüchtlinge“ darauf zu sprechen kommt, dass inzwischen „Klimaflüchtlinge“ anerkannt werden – und plötzlich seitenlang über Weltverbesserungsprojekte wie alternative Bewässerungssysteme, Wüstenbegrünung und effiziente Anbaumethoden schreibt.
Ohne Frage: Der Mann strotzt vor Informationen; sein Büchlein ist bereichernd. Häufig fühlt man sich aber dermaßen unter Faktenbeschuss genommen, dass man am liebsten die weiße Fahne hissen möchte und sich wünscht, einzelne Themenkomplexe nochmal in Artikellänge aufbereitet zu bekommen – ein paar Denkpausen inbegriffen. Und warum nicht hier im Heft?
Das Buch ist erhältlich bei Amazon oder als kostenloses PDF unter https://thepiratebay.se/torrent/12755565.